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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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ich zum Haus. Mistress Tirelle stand im Schatten des Balkons. »Der Regen ist kalt, und die Sonne ist zu klein am Himmel.« Auch das war vermutlich bereits zu viel geklagt.
    »Dummes Ding.« Er beugte sich herab und strich mir die Haare von der Wange. »Du musst einen Überwurf tragen, dann ist dir warm. Diese Stadt ist nicht im Übermaß mit wärmenden Sonnenstrahlen gesegnet.«
    Ich hatte keinen Überwurf bekommen, aber das durfte ich nicht sagen, solange Mistress Tirelle es hören könnte.
    Er fasste mich am Kinn und neigte meinen Kopf vor und zurück. Dann betrachtete er meine nackten Arme und Schultern. Meine Haut war noch immer gerötet und schmerzte von den Schlägen, aber es gab keine Striemen. Da wurde mir klar, dass genau das der Zweck des sandgefüllten Rohres war: mich zu bestrafen, ohne mich sichtbar zu verletzen.
    »Was hast du gelernt?«, fragte er.
    »Ich kann Spinat kochen. Und in sieben verschiedenen Stichen nähen.« Ich lächelte, ich konnte mir nicht helfen. »Ich weiß, wozu man Zitronensaft verwendet und wann man mit Palmöl einen zerkratzten Tisch behandelt.«
    »Wir werden doch noch eine feine Dame aus dir machen.« Er grinste breit, als wäre meine Gefangenschaft das Beste für alle.
    »Was meinst du mit eine feine Dame aus mir machen?«, fragte ich ihn. Niemand hatte mir bisher gesagt, weshalb ich eigentlich hier war.
    »Das wirst du beizeiten erfahren, Mädchen.« Er fuhr mir durchs Haar. »Ich möchte noch einmal mit Mistress Tirelle reden. Passt du auf mein Pferd auf, bitte?«
    Ich wusste nichts von Pferden, außer, dass sie so groß wie Ausdauer waren, aber mit den wilden Augen von Vögeln in ihren langen Gesichtern. Ich beschloss, hinter dem Schutz des Granatapfelbaumes auf sein Pferd aufzupassen, für den Fall, dass es plötzlich wild wurde. Ein kalter Regen begann zu fallen, während ich wartete.
    Nach einer Weile kehrte Federo mit besorgter Miene zurück. »Du bist schwieriger, als du sein solltest, Mädchen«, sagte er. »Deine Intelligenz und dein Stolz machen es dir vielleicht schwer. Es ist ein Geduldsspiel.«
    »Da irrst du dich, Sir. Es ist kein Spiel.«
    »Nein«, sagte er. »Wahrscheinlich nicht. Trotzdem spielen wir es.« Er beugte sich näher. »Ich werde wiederkommen und nach dir sehen. Dann kannst du es mir sagen, wenn es Schwierigkeiten gibt.«
    Es gab nur Schwierigkeiten, und zwar, seit dieser Mann mich von Papas Ochsen und meiner Glöckchenseide fortgeschleppt hatte. Das war nicht seine Absicht und das war es nicht, was er hören wollte. »Ja«, sagte ich in meiner Sprache.
    Er lächelte und stieg in den Sattel. Mistress Tirelle watschelte heraus und reichte mir höchst ungnädig einen schäbigen Wollmantel. »Hier, Mädchen«, sagte sie. »Damit du nicht frierst.«
    Ich stand in dem eisig werdenden Regen, beobachtete sie, wie sie zum Haus zurückging, und fragte mich, mit welchen Worten ich sie je besiegen könnte.
    Mistress Leonie und ich fuhren fort, Kleider zu nähen, aber sie schienen weder für mich zu sein noch für irgendjemand anderen.
    »Du wirst nie mehr in deinem Leben eine Nadel in die Hand nehmen, wenn du von hier fortgehst, Mädchen«, sagte sie zu mir, während wir die Schulterpasse eines Blousons zusammensteckten.
    Ich nickte. Das durfte ich manchmal. Natürlich war es mir verboten, zu antworten oder eine Frage zu stellen. Sie unterrichteten mich in allen Fertigkeiten einer feinen Dame, aber erlaubten mir nicht, sie auszuüben.
    Ich konnte keinen Sinn darin sehen. Ich hatte beschlossen, in allem, was sie taten, besser zu sein als die beiden. Im Hinblick auf diese Entschlossenheit schluckte ich meinen Ärger.
    Die nächste Bemerkung spiegelte meine Gedanken wider. »Und weißt du, warum das so sein soll?«
    »Soll … soll ich darauf antworten, Mistress Leonie?« Mein Rücken kribbelte in Erwartung der Schläge mit dem sandgefüllten Rohr.
    »Ja, du darfst sprechen.«
    »Ich muss diese Fertigkeiten verstehen, ohne sie auszuüben.«
    »Du bist ein wenig schnippisch.« Trotz ihrer Worte war ihre Stimme ohne Groll. »Man wird immer und immer wieder von dir verlangen, ein Ding, eine Tat, einen Ort oder eine Person zu bewerten. Ist dieses Kleid von der Art, dass es eine feine Dame in Copper Downs tragen würde, oder ist es eine Imitation, die Betrüger nach einem gemeinen Diebstahl angefertigt haben? Ist dieser Raum so sauber, dass ein Gott darin gerufen und verehrt werden könnte, oder waren die Dienstmägde faul? Was ist mit der Suppe, deren

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