Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
könnte sterben.
Die Entenfrau kam gleich darauf mit einer der kupfernen Kohlenschüsseln zurück, mit denen wir unsere Schlafräume während der kalten Winternächte warm hielten. »Hier«, sagte sie. »Reiß die Seide in Stücke und leg sie hinein.«
Weinend gehorchte ich oder versuchte es. Die Seide war stärker als ich. Mistress Tirelle holte ein Messer aus ihrem Gewand und half mit Schnitten nach.
Tränen lagen gefroren auf meinen Wangen, während ich die Streifen in die Glut warf. Sie reichte mir ein Fläschchen Öl. »Gieß es darüber.«
Ich goss. Die Tage meines Lebens verbrannten, als hätte es sie nie gegeben. Die Granatapfelkerne knackten in der Hitze, hüpften in kleinen Gruppen und nahmen die Geister meiner Vergangenheit mit sich.
Möge meine Großmutter dieses Feuer sehen, dachte ich.
Als die Flammen erloschen, zwang mich Mistress Tirelle, die Kohlenschüssel in die obere Küche zu tragen. Trotz der dicken Verkleidung rötete das heiße Metall meine Hände und Handgelenke. Als wir ankamen, klatschte sie ohne Mitgefühl Palmöl auf meine Verbrennungen. Dann holte sie einen breiten, niedrigen Topf, wie man ihn verwendete, um kleines Geflügel zu kochen.
Sie schöpfte die Asche meiner Seide und die verbrannten Schalen der Granatapfelkerne aus der Kohleschüssel in den Suppentopf. Sie goss ein wenig Wein und Wasser dazu und eine üppige Hand voll Salz. Sie verrührte das eine Weile und beobachtete die aufsteigenden Blasen, bis die Mischung dampfte.
Der Geruch war schrecklich.
Alles passte in eine große Essschale, die sie vor mich hinstellte und sagte: »Iss.«
Die Suppe war eine graubraune Flüssigkeit.
»Iss es und die Sache ist vergessen. Wenn du es nicht isst, bist du erledigt.«
Ich löffelte würgend die bittere Suppe aus Asche und Salz. Ich aß meine Vergangenheit. Aber ich schwor mir, dass ich noch eine Zukunft haben würde.
Später saß ich auf meinem Bett und blickte zur Tür hinaus, die Mistress Tirelle offen gelassen hatte. Im Schatten des verschneiten Granatapfelbaumes glaubte ich für einen Augenblick, einen schlafenden Ochsen zu sehen. Ich wusste, dass das unmöglich war, aber die Vorstellung tröstete mich.
Nach meinem ersten Jahr im Granatapfelhof kamen neue Mistresses, um mich andere Fertigkeiten zu lehren. Mistress Tirelle arbeitete weiter mit mir in der Küche. Mistress Leonie fuhr fort, mich in Stoffen und im Nähen zu unterrichten. Mistress Marga war viel jünger als die anderen beiden und zeigte mir, wie man hier im Norden gründlich die Räume reinigte. Mistress Danae brachte Papierblätter mit und machte mich mit den phantasievollen Buchstaben der Steinküstenschrift vertraut. Sie frischte damit auf, was Federo an Bord der Schicksalsvogel begonnen hatte.
Jede vermittelte mir auf ihre Weise die Geheimnisse ihrer Kunst. Mistress Marga zeigte mir, dass verschiedene Öle für verschiedene Hölzer verwendet wurden, nicht nur abhängig vom Holz selbst, sondern auch, wofür es benutzt wurde und ob es direktem Sonnenlicht ausgesetzt war. Sie konnte Stunden über das Wäschestärken sprechen und weshalb die richtige Steife einer Manschette oder eines Kragens so viel über Bedeutung und Position eines vornehmen Herren in der städtischen Gesellschaft verraten konnte.
Mistress Sualix zeigte mir die geheime Magie der Zahlen, wie sie in Reihen und Kolonnen und anderen Anordnungen neue Zahlen hervorbrachten. Ihre Stimme war eindringlich, aber ruhig, und im Gegensatz zu den anderen Mistresses schien sie nichts von Bestrafung zu halten. Für sie bedeuteten Zahlen die ganze Welt. Sie bewegten Schiffe und Münzen und ließen Soldaten marschieren. Bald war ich so sehr überzeugt davon wie sie, sodass ich glaubte, den Atem der ganzen Stadt aus einem Stapel Münzen herauszuhören.
Mistress Balnea kam, um mich über Pferde, Hunde und seltenere Tiere zu unterrichten, die manche Frauen zu ihrem Spielzeug machten. Sie zeigte mir farbige Bilder auf Tierhäuten und sprach von Schultern, Haltung und Farben und versprach mir, dass ich im Frühjahr selbst reiten durfte. Ich sah wenig Sinn darin, mich auf ein Pony zu setzen, nur um im Hof im Kreis zu reiten. Aber das sagte ich der Pferdemistress nicht.
Musik trat in mein Leben in der Gestalt von Mistress Maglia, einer dürren, nachtragenden Frau, die Mistress Leonies Bösartigkeit wie Zärtlichkeit aussehen ließ. Ihre Gefühle waren nicht persönlich, ganz im Gegenteil, aber sie ließ mich keinen Augenblick vergessen, dass ich für sie nichts
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