Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
anderes als nur ein weiteres Instrument war. Ihre Aufgabe war es, meine Stimme auf den Gesang einzustimmen, wie er hier bei den Nordländern gepflegt wurde, und dafür zu sorgen, dass ich ein Spinett von einem Cembalo unterscheiden konnte. Ich war noch immer sehr klein, als Mistress Maglia meine Stimmausbildung begann, und meine Stimme hatte diese engelhafte Klarheit, wie nur sehr junge Kinder sie haben können. Sie warnte mich vor dem Wrack, das ich sein würde, bevor ich erwachsen war, dann drohte sie mir, mich schon vor dieser Zeit fertigzumachen, wenn ich ihren Worten nicht die Beachtung schenkte, die sie hineinlegte.
»Ich fürchte den Faktor nicht wie diese anderen Frauen«, schnappte sie. »Du wirst perfekt sein, oder du wirst gar nichts sein, wenn ich es will.«
Zwei gute Dinge brachte diese neue Flut von Mistresses mit sich. Zum einen, dass meine Tage abwechslungsreicher und ausgefüllter waren als bei meiner Ankunft. Das bedeutete weniger Zeit mit Mistress Tirelle und mehr Ablenkung. Die Welt öffnete sich für mich auf eine Weise, wie ich das innerhalb eines Käfigs wie dem Granatapfelhof nicht für möglich gehalten hätte. Ich hatte Schuldgefühle, weil ich das für besser hielt, als meine Tage in Wassergräben unter einem lodernden Feuerball zu verbringen.
Allerdings war ich zu Hause nie geschlagen worden.
Zweitens wuchs, als mehr Mistresses kamen und gingen, das beruhigende Gefühl, dass es eine Welt jenseits der Blausteinmauern gab. Geräusche drangen selten in die Höfe, und wenn es doch einmal geschah, waren sie unklar und bedeutungslos. Doch die Frauen, die mich unterrichteten, kamen und gingen wieder, was darauf hindeutete, dass sie auch noch andere Aufgaben, Termine und Pflichten hatten. Sie plauderten oft miteinander. Sie achteten zwar darauf, dass ich nichts hören konnte, aber nicht immer und nicht gründlich genug. Ihrem Klatsch entnahm ich, dass noch andere Mädchen in den anderen Höfen des Faktors ausgebildet wurden. Diese Mädchen konkurrierten miteinander und mit mir – dieser süße Fratz war ein Naturtalent mit Gewürzen und Feuer in der Küche, während jenes blonde Blümchen ein wahrer Engel mit Tinte und Feder war.
Ich war nur ein kleines Kind, als ich zum ersten Mal solche Worte vernahm. Sie festigten meine Entschlossenheit, alles zu meistern, was auf mich zukam. Eines Tages würde ich frei sein.
Mein Bett war ein großes und so weiches Viereck, dass ich manchmal auf dem Boden daneben schlief. Nachts, wenn Mistress Tirelle verärgert schnaufend und murrend in ihrem Schlafzimmer verschwand, lag ich wach und erzählte mir Geschichten in meiner Muttersprache. Rasch wurde mir klar, wie wenig ich von meiner Sprache wusste, verglichen mit dem zunehmenden Wortschatz in der raueren petraeanischen Sprache dieses Steinküstenvolkes. Ich konnte mich über Früchte und Gewürze, Schneiderei und die Vorzüge von Hunden nur in der Sprache meiner Gefangenschaft ausdrücken.
In meiner eigenen Sprache kannte ich nicht einmal das Wort für Hund. Ausdauer war unser einziges Tier gewesen, abgesehen von ein paar dürren Dschungelvögeln, die in Papas Hütte herumscharrten. Ich konnte über Schildkröten reden, über Schlangen und Fliegen, die bissen, aber dennoch war die Welt, die diese Worte beschrieben, überschaubar genug, um mir das Herz zu brechen.
Eines Tages hatte ich wieder ein paar Zeilen von Siebzehn Leben der Megatherianer geschafft. Mistress Danae war der Meinung, dass eine Dame immer über sich hinauswachsen sollte. Die Worte waren gewaltig. Sie offenbarten Ideen, die ich damals nicht verstand. Was weiß ein kleines Kind schon von Seelenwanderung und Vergebung? Aber der Klang war da in den kniffligen, wechselnden Buchstaben. Sie ging alles geduldig, Schritt um langsamen Schritt mit mir durch.
Ich erhob mich nach dem Unterricht. Meine Blase war voll und ich hatte noch Zeit, bis ich zu Mistress Tirelle in die obere Küche musste. Mit ihrem ausgeprägten Sinn für Grausamkeit hatte sie beschlossen, dass wir uns eine Weile mit Suppen beschäftigten.
Zu meiner Überraschung wartete sie vor der Tür des Empfangszimmers. Mistress Tirelle war nicht jemand, der in der Kälte herumstand, wenn es nicht unbedingt notwendig war.
»Mädchen«, sagte sie und hielt einen Moment inne. Auch solch ein offensichtlicher Mangel an Selbstsicherheit passte nicht zur Entenfrau. »Du wirst jetzt eine neue Mistress kennenlernen. Sie ist … Sie steht nicht auf meinem Lehrplan, aber Federo hat sie
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