Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
faltete die Hände. Sie nickte.
»Wie ist das mit Menschen aus anderen Ländern?«, fragte ich. »Kennen wir ihre Essenssprache?«
Meine Frage trug mir einen misstrauischen Blick ein. Mistress Tirelle hatte es immer übel genommen, dass ich von jenseits des Sturmmeeres stammte, als ob ich für die Umstände meiner Geburt verantwortlich wäre. Nach einem Augenblick schien sie zu der Einsicht gekommen zu sein, dass ich keine versteckte Missachtung ihrer Regentschaft hier im Haus des Faktors beabsichtigt hatte. »Manchmal nimmt es ein Koch auf sich, fremde Essensgewohnheiten zu erlernen, um einem mächtigen Kaufmann oder Prinzen Ehre zu erweisen.« Ein winziges Lächeln geisterte über ihr Gesicht. »Vergiss nicht: Die von weit her kommen, werden niemals unsere Standards erreichen. Wenn es notwendig ist, werden wir Rücksicht auf sie nehmen, doch das ist immer ein Mitleidsgeschenk, das sie lieber nicht annehmen sollten.«
Meine unbeabsichtigte Kritik fiel nun doppelt auf mich zurück. Ich schien mich nie mit einer meiner Mistresses gut zu verstehen, obwohl manche nicht unfreundlich waren. Nur die Tanzmistress hatte mich gut behandelt. Dann hat auch sie mich fallen gelassen, dachte ich.
Ich beschäftigte mich einen Augenblick mit dem Zuckerkessel, um meine Tränen zu verbergen.
»Mädchen.«
Als ich mich zu ihr umdrehte, versuchte ich gar nicht, den Jammer zu verbergen, der mir ins Gesicht geschrieben stand. Zu meinem Glück schien sie zu glauben, dass mich ihre Geringschätzung so tief getroffen hatte.
»Wir werden morgen ein schönes Brot nach draußen schicken.« Sie senkte die Stimme. »Zur Prüfung.«
Ich faltete wieder die Hände. Sie runzelte die Stirn, forderte mich aber auf zu sprechen.
»Prüfung durch wen, Mistress?«, fragte ich. »Und wofür?«
»Was außerhalb der Mauern des Granatapfelhofes passiert, braucht dich nicht zu kümmern, Mädchen. Wir schicken deine Arbeit hinaus, und sie wird geprüft.«
Die Antwort war klar genug für mich. Es würde einen Wettkampf unter den Höfen des Faktors geben!
Ich verbarg mein Lächeln. Nach mehreren Jahren an diesem Ort konnte ich endlich zeigen, was in mir steckte. Ich konnte nur der Sonne danken, dass es keinen Reitwettkampf gab. Baumklettern gegen die unsichtbaren Mädchen wäre mir am liebsten gewesen, aber das hier war auch gut. Das passte mir schon.
Früh am nächsten Morgen waren meine Gedanken mit Mehlsorten und Zucker beschäftigt. Üppige Enteneier oder köstliche, kleine von der Wachtel? Ich dachte noch immer an bestimmte Zutaten für den Teig, und eine Mixtur zum Bestreichen der Kruste erschien mir unverzichtbar. Bestreuen mit Hagelzucker und Kardamom würde den Laib gut aussehen lassen.
Ich wusch mich und kleidete mich rasch an. Ich trug wie eh und je ein Leinenkleidchen. Es ging auf den Herbst zu, doch ich brauchte noch nichts zum Drüberziehen, auch nicht früh am Morgen. Hitze und Kälte machten für mich fast keinen Unterschied mehr, außer wenn das Atmen weh tat oder wenn ich Schutz für meine Füße brauchte. Draußen am Balkon sah ich, dass Nebel den Hof einhüllte. Der Granatapfelbaum sah fremdartig aus in dem spärlichen Licht. Seine Zweige spreizten sich wie gebrochene Finger. Die Luft roch nach kaltem Stein und dem nahen Meer. Mein Blick wanderte zu den Ästen, wo sich meine schwarze Laufkleidung befinden sollte. Sie war jetzt gut versteckt und das kleine Stoffstück der Tanzmistress ebenso.
Backen war so viel … weniger … als durch die Dunkelheit zu hetzen. Möchte ich lieber ein Mädchen sein, das ein schönes Brot backen kann, um seinen Herrn zu erfreuen, oder ein Mädchen, das in der Lage ist, in fünfzehn Sekunden das Dach zu erreichen, ohne dass jemand im Haus etwas davon merkte?
Keines von beidem, das wurde mir klar, diente wirklich einem Zweck. Mistress Tirelle hatte mir immer und immer wieder gesagt, von mir würde nicht erwartet, dass ich meine Fertigkeiten ausübe. Ich sollte sie nur bis ins kleinste Detail kennen.
Eine beängstigende Frage drängte sich mir auf: Waren die Mistresses Kandidatinnen, die es nicht geschafft hatten? Vielleicht waren Mistress Danaes Lesekenntnisse oder Mistress Leonies Näh- und Webekünste das Ergebnis eines langjährigen Aufenthaltes hinter diesen Blausteinmauern, bevor sie sich den Weg hinaus erkämpften.
Ich wollte nach Hause. Mehr als alles andere. Ich wollte mein Leben wiederhaben. Aber wenn mir das verwehrt bleiben sollte, dann wollte ich eines ganz sicher nicht: meine Jahre
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