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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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feiner Damen.«
    Mistress Tirelle räusperte sich erneut. Federo hatte zu viel gesagt.
    »Ich werde jetzt mit deiner Mistress reden«, erklärte er. »Geh und spiel ein Instrument, wenn du eines hast.«
    Meine Knochenflöte befand sich unten auf einem Ständer, doch sowohl Mistress Maglia als auch ich zweifelten daran, dass ich dem Instrument jemals mehr als die einfachste Melodie entlocken würde. »Ja, Sir.« Mit einem Knicks, den sie mir neuerdings beibrachten, trollte ich mich.
    Die Jahre vergingen. Federo tauchte zwischendurch immer wieder mehr oder weniger überraschend auf. Mistresses kamen und gingen. Sie lehrten mich Anstandsregeln, Edelsteine schleifen, Umgangsformen, Fechten – mit einer Männerklinge, sodass ich keinen falschen Eindruck bekam –, ebenso Architektur, Schreinern, die Verwaltung von Zahlungsmitteln und die Geheimnisse der Produktion von Waren und ihres Vertriebs an die Märkte und die großen Häuser.
    Gleichzeitig übte die Tanzmistress mit mir Springen und Stürzen und ungewöhnlichere Dinge, wie auf der Stelle laufen auf einer schwankenden Stuhllehne oder an einer Vorhangstange zu schwingen. Wir tanzten auch, um Mistress Tirelle und andere Zuhörer zu beruhigen: die Fröhliche Pavane und die Kleine Pavane, die Sarabande der Frauen und den Jahreszeitenreigen, den Prinzenschritt und den Graustown Bend.
    Eine Nacht alle ein oder zwei Wochen liefen wir über die Dächer, im Untergrund und gelegentlich auch in den Straßen. Als ich größer wurde, brachte sie mir neue Klettertechniken bei und zwang mich, bei meinen Stürzen meinem veränderten Körper Rechnung zu tragen. In der Finsternis des Untergrunds übten wir einige der Würfe und Blockaden, die sie in jener Nacht angewendet hatte, als ich wütend auf sie eingestürmt war.
    Das war nun wirklich ein völlig neues Training. Ich lernte, dem Übungsgegner in tiefster Dunkelheit gegenüberzustehen, Bewegungen nur aus Geräuschen wie dem Atmen und Scharren der Füße zu erkennen. Die Abschürfungen und blauen Flecken in meinem Gesicht wurden Mistress Tirelle wie immer als Ergebnis der harten Arbeit im Übungsraum erklärt. Diese Ausrede war immer fadenscheiniger geworden, aber die Furcht, die Mistress Tirelle gegenüber der Tanzmistress hegte, war im Lauf der Jahre nicht geschwunden.
    Hinter allem steckte natürlich Federo. Im Lauf der Zeit war mir immer klarer geworden, dass sie mich für irgendeine besondere Aufgabe ausbildeten, nicht um Gewalt anzuwenden, denn in allen Lektionen ging es um Bewegung und Verteidigung und Überleben, sondern für einen anderen Einsatz, der das Risiko barg, zum Angriffsziel zu werden. Diese Ausbildung lag verborgen hinter meiner vielschichtigen Erziehung zu einer feinen Dame der Steinküste.
    Die Lügen waren ebenso fadenscheinig, auch wenn es vielleicht fairer war, sie Ausflüchte zu nennen. Diese Frauen des Faktors konnten mich doch nicht jeden Tag damit zubringen lassen, meinen Verstand zu schärfen, und dann von mir erwarten, dass ich all das Wissen und die Erfahrungen, die sie in mich hineinstopften, nicht einsetzte.
    Wenn alles gut lief, machte es mir fast Spaß. Es ist wundervoll, zu malen oder über die Vergangenheit zu lesen oder Zahlen nach ihren Regeln zu benutzen. Selbst heute schätze ich diese Fertigkeiten immer noch sehr.
    Aber die harte Hand war immer vorhanden. Außer im Falle der Tanzmistress erging es mir wie all den jungfräulichen Prinzessinnen in den Kindergeschichten: Man ließ mich nicht aus den Augen. Keine dieser Frauen schuldete mir Liebe oder gar Respekt. Für alle war ich nur eine schwierige Aufgabe, an der sie nicht scheitern durften.
    Nur die Tanzmistress nahm mich so, wie ich war. Nicht wie ich zuvor war – das wusste nur Federo, und er sprach niemals darüber – aber wie das Mädchen, das hinter all den Veränderungen steckte, die sie mir aufzwangen.
    Um fair zu sein, muss ich zugeben, dass auch Mistress Tirelle in ihrer absonderlichen Art sah, wer ich wirklich war. Und irgendwie machte der Umstand, dass sie etwas über mein tiefstes Inneres wusste und mich trotzdem mit ihrer grausamen Willkür behandelte, alles nur quälender.
    Ich nähte noch immer mit unsichtbarer Nadel an meiner erdachten Glöckchenseide. Meine Geschichten über die ersten Tage des Lebens waren bald nur noch Bilder, die ich mir ins Gedächtnis rufen konnte, wie die alten Drucke, die Mistress Danae oder Mistress Ellera in den Unterricht brachten. Noch waren alte Worte da, aber diese wichen mit jedem Jahr

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