Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
vier vor diesem Morgen. Wären da nicht die Nachtausflüge mit der Tanzmistress, hätte ich in den Jahren, seit mich Federo von der Schicksalsvogel hierher brachte, nicht mehr als vier Leute gleichzeitig gesehen.
Jede der Frauen trug ein hochgeschlossenes Kleid aus schwarzem Satin mit geschnürtem Mieder, das geschlitzt war und graue Seide darunter enthüllte. Es schien eine Art Uniform zu sein, in die die zwei Dutzend Frauen gekleidet waren.
Ich zog mich so festlich an, wie es meine Garderobe, in der sich kein besonderes Gewand für festliche Anlässe befand, erlaubte. Als ich hinaustrat, erwarteten mich Mistress Tirelle und Mistress Maglia bereits. Mistress Maglia war wie die Frauen unten gekleidet, während Mistress Tirelle ihr übliches Gewand trug.
»Komm, Mädchen«, sagte Mistress Maglia, was überflüssig war, denn ich konnte sehen, was sie wollte. Außerdem war es Jahre her, dass mein rebellisches Wesen über meine Neugier triumphiert hatte.
Ich folgte der Mistress zu einem Stuhl auf einem kleinen Podest, von wo aus ich auf die uniformierten Frauen hinabblicken konnte. Instrumente wurden aus Kästen, Tragegestellen und Säcken genommen. Poliertes Messing glänzte in der Morgensonne. Glattes, braunes Holz schimmerte in der Form weiblicher Rundungen. Dünne Silberflöten trillerten, als das Einspielen begann.
Ich hatte Harfe und Spinett und Flöte gelernt, ein Instrument nach dem anderen. Jetzt würde ich sie bei einer Darbietung im Zusammenspiel erleben. Ich war gebannt. Meine eigenen musikalischen Fähigkeiten waren, meine Stimme vielleicht ausgenommen, nicht der Rede wert. Mistress Maglia hatte mich nicht darauf vorbereitet.
Mistress Tirelle lehnte sich näher und sagte: »Erinnere dich an den Früchtetest. Das ist dasselbe, nur mit Musik.«
Mistress Maglia näherte sich meinem anderen Ohr. »Sie werden Musikstücke spielen, die du kennst. Das erste ist die Ouvertüre zu Grandieve’s Trollhattan Stimmungen. Du hörst es dir bis zum Ende an. Dann werden sie es noch einmal spielen, aber bestimmte Musikerinnen werden von Zeit zu Zeit falsch spielen oder aus dem Takt kommen. Wenn du einen Fehler hörst, wirst du auf die Täterin deuten.«
Ich faltete die Hände. Sie nickte mit einem wissenden Lächeln. »Und wenn ich mich irre?«
»Mistress Tirelle wird deine Noten aufschreiben und dich später bestrafen.«
Ich hatte fast zwei Wochen keine Prügel bezogen. Ich hielt es für unwahrscheinlich, dass ich den Tag ohne ein Dutzend Schläge überstehen würde.
Als die Frauen spielten, umgab mich ein wunderbarer Klang. Er muss auch in den anderen Höfen hörbar gewesen sein. Das Stück von Grandieve, eine Sammlung von Tongedichten über ein eisiges Eiland in einer felsigen Bucht des Nordlandes, schwelgt in Stimmungen. Mistress Ellera hatte mir einmal Gemälde von Trollhattan gezeigt, und ich sah die Klangbilder vor mir, als ich sie das erste Mal mit meiner kleinen Flöte übte.
Das Orchester füllte den ganzen Himmel damit.
Sie spielten es perfekt zu Ende. Dann begannen sie auf ein Zeichen von Mistress Maglia erneut. Diesmal konnte schon nach den ersten Takten eine der Fanfaren den Ton nicht halten. Ich deutete. Die Frau nickte und stellte ihr Instrument ab. Ein paar Takte später spielte eine Gambe falsch. Ich deutete wieder. Ein weiteres Nicken und das nächste Instrument schied aus.
Am Ende hatte ich nur drei nicht erkannt. Nur vier Musikerinnen spielten das Stück zu Ende.
Ohne die angedrohte Strafe wäre es eine faszinierende Übung gewesen.
So begann mein Training mit anderen. Immer noch waren es nur Frauen, aber mehr und mehr kamen in den folgenden Monaten in den Granatapfelhof. Wir veranstalteten Abendgesellschaften, bei denen einige der Frauen schwarze Schärpen trugen, um zu zeigen, dass sie als Männer teilnahmen und bedient werden wollten. Frauen in ledernen Hosen marschierten wie ein Wachtrupp auf. Frauen tanzten mit Frauen neben mir im Übungsraum oder draußen im Hof, während ein kleines Orchester spielte.
Ich lernte, wie es in der Welt draußen zuging. Mir erschien das unheimlicher und furchteinflößender als der Aufenthalt im Untergrund, denn dies war die Bestimmung, auf die sie mich vorbereiteten.
Jede Nacht holte ich meine Glöckchenseide aus ihrem erdachten Versteck und fügte ein neues Glöckchen hinzu. Inzwischen waren die Glöckchen zu einer Kaskade von Tönen und Tonarten geworden, zu einem Wasserfall von Musik, wenn es so etwas in Wirklichkeit gegeben hätte.
Ich liebte
Weitere Kostenlose Bücher