Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
alle teilten ein Geheimnis unter den Sternen, und ich liebte diese Nächte draußen im Freien.
Mein Dasein verlief in einem Rhythmus, gegen den ich nichts einzuwenden hatte, wenn ich nicht allzu sehr über die Bedingungen meiner Gefangenschaft nachgrübelte. Ich beschäftigte mich weiterhin jeden Abend mit meiner imaginären Glöckchenseide, doch das bittere Gefühl der Ungerechtigkeit wich mehr und mehr der Kombination einer fast angenehm gewordenen Routine mit den immer wieder verblüffenden Entdeckungen, die der Unterricht mit sich brachte.
In diesem Sommer, als mein Blick in der Hoffnung auf Federos Rückkehr häufig zum Tor wanderte, machte mich die Tanzmistress wieder mit einem neuen Übungsort bekannt. Statt über die Dächer zu laufen, brachte sie mich zwei Blocks vom Haus des Faktors entfernt in einen engen Hof voller Müll und funkelnder Rattenaugen. Nur ein schmaler Streifen Himmel war über uns zu sehen. Es roch faulig, und der Abfall raschelte sonderbar.
»Wir nehmen heute Nacht einen anderen Weg«, erklärte sie. »Kannst du mir sagen, welchen?«
»Nicht oben und nicht innen.« Ich blickte mich um und dann auf das Gitter zu unseren Füßen. »Ist da unten ein Weg?«
»Unter uns ist das Innenleben einer Stadt.« Ihr Lächeln wurde grimmig. »Jetzt wirst du die Wahrheit erfahren, die dort unten liegt.« Sie nahm mich an der Hand. »Weiche da unten niemals von meiner Seite. Nicht einen Schritt. Von einem Dach kannst du immer herunterklettern, wenn du nicht mehr weißt, wo du bist, und auf der Straße deinen Weg nach Hause finden. Da unten gibt es keine Orientierungspunkte. Ausgänge sind selten und befinden sich meist an ungewöhnlichen Orten.«
Um von den Dächern eines Häuserblocks zu denen eines anderen zu gelangen, musste man ständig auf und ab klettern. Einen guten Teil der Zeit verbrachte man damit, auf einen ruhigen Augenblick oder einen schützenden Schatten zu warten. Ich sah sofort den Vorteil, den die Bewegung im Untergrund bot, wenn es dort genug Platz zur Fortbewegung gab. »Wie weit kann man dort gehen?«
»Nicht überallhin«, schränkte sie ein, »aber zu mehr Orten, als du glaubst. Es gibt mehrere Ebenen unter der Stadt.«
»Fließt das Wasser so tief hinab?«
»Die Abwasserkanäle führen zum großen Teil in den Hafen. Aber darunter gibt es Minenschächte und ein Gewirr von Gängen und Räumen aus einer anderen Zeit, als die Leute es für notwendig hielten, unter der Erde zu bauen.«
Ich war fasziniert.
Wir öffneten das Gitter und blickten in eine moosige Öffnung, aus der es nach Moder roch. An der Ziegelmauer befanden sich Sprossen, die ebenso glitschig wie die Wände waren. »Ich gehe immer voran«, sagte sie, »außer wenn ich dir eine andere Anweisung gebe.«
Sie glitt die Sprossen hinab. Ich folgte. Da ich keine Möglichkeit sah, das Gitter hinter mir zu schließen, ließ ich es offen.
Unter der letzten Sprosse waren es noch acht oder neun Fuß bis zum Boden. Die Tanzmistress half mir hinunter. Ich blickte hoch und sah einen Kreis von Sternen, als hätte sich der Neumond über den ganzen Himmel ausgedehnt und nur diese eine Scheibe von Sternen übrig gelassen.
Wasser tröpfelte. Der Modergeruch hatte feuchtem Stein und alter Fäulnis Platz gemacht. Ich konnte absolut nichts um mich herum erkennen.
»Du könntest ohne Vorwarnung in ein Loch stürzen.« Ihre Stimme kam aus einer anderen Richtung, als ich erwartet hatte, und ich zuckte zusammen.
»Es gibt Kreaturen, die hier unten leben. Die meisten sind unangenehm.« Die Tanzmistress hatte sich wieder bewegt, ohne dass ich es bemerkte. Sie tat das völlig lautlos. Ihr unerfreuliches kleines Spiel machte mir bewusst, wie sehr ich von meinen Augen abhängig war.
»Hier gibt es keinerlei Licht, außer du bringst eines mit.« Dieses Mal glaubte ich, ihre Füße über den Stein scharren zu hören.
»Schließ deine Augen und dreh dich.« Ihre Hände berührten meine Schultern und drehten mich. Seltsamerweise wurde es schlimmer, wenn ich die Augen schloss, als ob mein Gleichgewicht immer noch irgendeine Art von Halt in dem fand, was meine Augen in der undurchdringlichen Dunkelheit sahen.
Sie drehte mich immer wieder herum und hielt mich schließlich an. »Mach einen Schritt.«
Ich versuchte es und stürzte zu Boden. Ich unterdrückte einen überraschten und schmerzlichen Aufschrei. Der Stein war glitschig unter meinen Händen, und mein Knie fühlte sich an, als wäre es geprellt.
Etwas wand sich unter meiner Hand. Ich
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