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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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vorsichtiger Schritt zu den anschließenden ebenen Steinen. Ein vages Echo des Straßenlärms hinter mir. Die Mauer vor mir. Ich begann, bedächtig zu gehen, dabei hielt ich meine Hände unverkrampft und abwehrbereit für den Fall, dass ich auf einen wackligen Stein trat oder in eine Falle, mit der mich die Tanzmistress zu noch größerer Vorsicht mahnen wollte.
    Nach zweiundzwanzig Schritten griff ich nach vorn an die innere Mauer. Ich hatte gewusst, dass sie da war. Die Gerätekiste müsste ein paar Schritte zu meiner Linken sein. Ich lauschte eine Weile. Die Kiste machte kein Geräusch, denn sie war ziemlich fest und stand hier seit langer Zeit. Sie war zu klein, um dem leichten Wind ein eigenes Geräusch abzuverlangen. Die Erinnerung musste mich leiten.
    Ich drehte mich, tat einen Schritt und rammte die Kiste hart. Ich landete schwer auf den Steinen.
    Die Tanzmistress war einen Augenblick später bei mir. Ich vernahm ihre letzten Schritte und ihren Atem. »Du kennst diesen Hof wie die Finger deiner Hand, und sieh dir an, wo du jetzt bist. Wie willst du im Untergrund zurechtkommen?«
    »Indem ich dir folge, Mistress.«
    »Indem du mir folgst.« Sie kniete – ich vernahm das schwache Geräusch ihrer Knie, das Rascheln ihrer Tunika, und spürte die veränderte Wärme, als die Tanzmistress neben mir war. »Ich sehe anders als du, Mädchen. Wärme ist fast eine Farbe für mich.«
    »Ich kann Wärme nicht sehen, Mistress.«
    »Nein, das kannst du nicht.« Sie berührte mich an der Schulter. »Es gibt andere Möglichkeiten. Es ist immer gefährlich, da unten mit einem Licht unterwegs zu sein. Feuer verhält sich unberechenbar in der schlechten Luft in manchen Korridoren. Andere Leute und … Kreaturen … können dich schon aus großer Entfernung sehen. Aber es gibt schwaches Licht, kaltes Licht, das man von manchen modrigen Wänden kratzen kann. Damit kann man sich zurechtfinden, ohne sich zu verraten.«
    »Ich verstehe die Gefahr«, sagte ich.
    »Gut. Dann lauf jetzt um den Hof mit deiner Augenbinde.«
    Ich stürzte sechs oder sieben weitere Male während des Laufs und fürchtete schon, dass sie mich auch auf die Mauer klettern lassen würde, doch das tat sie nicht.
    Am nächsten Tag trug ich einen knöchellangen Rock, um meine blauen Flecken zu verbergen. Mistress Tirelle sagte nichts, aber ich hatte Angst, dass ich ihn würde ausziehen müssen, wenn ich Schläge bekam, also achtete ich darauf, besonders freundlich und folgsam zu sein.
    Federo erschien kurz darauf nach etwas längerer Abwesenheit als ein Jahr. Es lag noch kein Schnee, aber das Pflaster war in den Morgenstunden reifbedeckt. Der Granatapfelbaum hatte die letzten Blätter abgeworfen, als die dünnen Wolken hoch am Himmel den Winter ankündigten. Ich mochte die Kälte nicht, aber aus dem Geruch der Jahreszeit schöpfte ich immer Kraft.
    Als mein Entführer in der Tür zum oberen Empfangsraum auftauchte, stürmte ich in seine Arme. Er fing mich, wankte zurück und hielt mich dann auf Armeslänge von sich, um mich eingehend zu betrachten. Und ich tat das Gleiche mit ihm.
    Ich wusste, was er vor sich sah: ein Mädchen mit länger gewordenen Armen und Beinen, das noch längst keine Frau war. Sie hatten hier nie mein Haar geschnitten, nur die Enden gestutzt, sodass es mir bis über die Mitte hinabreichte. Meine Kleidung war besser. Die hatte ich natürlich selbst angefertigt.
    Federo wirkte erschöpft. Die Anstrengungen der Reisen waren ihm anzusehen. Ich erinnerte mich nicht an Falten in seiner Haut. Seine Wangenknochen waren zu sehen.
    »Bist du krank gewesen?«, fragte ich.
    Hinter mir räusperte sich Mistress Tirelle scharf. Ich hatte eine unpassende Bemerkung gemacht. Ich wusste aber auch, dass sie es nicht wagte, mich in seiner Gegenwart zu maßregeln. »Ein wenig.« Er lächelte, und ich sah, dass seine Zähne gelb waren. »Manchmal schlägt mir das fremdländische Essen auf die Verdauung. Ich habe Gutes über dich gehört, Mädchen.«
    Ich musste sehr an mich halten, nicht Mistress Tirelle anzusehen. Ich spürte ihre bohrenden Blicke deutlich genug in meinem Rücken.
    »Das weiß ich nicht, Sir. Ich lerne fleißig im Unterricht und achte auf die Mistresses.« Er sah mein Gesicht und wusste, dass ich mehr damit sagen wollte, als Mistress Tirelle hörte. Ich fügte hinzu: »Wahrscheinlich werde ich diese Fertigkeiten nie mehr benutzen.«
    »Weil du etwas Besonderes sein wirst und Arbeit in deinem Leben keinen Platz haben wird. Auch nicht die Arbeit

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