Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Ich wusste, wie ich mich in diesem Chaos bewegen musste; wusste, wann es angebracht war, selbstbewusst aufzutreten, und wem ich besser aus dem Weg ging. Er hatte Recht – ich wollte Ravi nicht irgendwo begegnen, wo der Meister keinen Schutz bieten konnte.
Ich hatte ein paar Wochen verhältnismäßig gut gegessen, besaß einige Paisas und hatte sogar eine Börse für mein Geld. Alles, was mir fehlte, um für ein Leben in Kalimpura gut gerüstet zu sein, war ein Penis.
Die Stadt innerhalb der Mauern bot dasselbe Gedränge wie vor den Toren. Zwar lag die Engstelle des Tores hinter mir, doch die große Menschenmenge dahinter war nicht viel besser. In Copper Downs schritten die Menschen, als erwarteten sie einen freien Weg vor sich. Hier rempelte und stieß jeder wie Wasser in der Strömung eines Gebirgsbaches und man lebte und betrieb sein Geschäft in Rufweite voneinander.
Die Gebäude waren so ungewöhnlich, geradezu gekünstelt und überladen gestaltet, dass ich manchmal nur den Kopf schütteln konnte. Viele Menschen schienen ihr ganzes Leben ausschließlich auf der Straße zu verbringen. Ich sah ganze Familien auf kleinen Matten inmitten von Töpfen und Bündeln ihren tagtäglichen Verrichtungen nachgehen, ohne sich um die Menge zu kümmern oder von ihr beachtet zu werden. Es gab auch Ochsenkarren von einer Art, wie ich sie auf dem Weg hierher nie gesehen hatte. Sie verließen niemals die Stadt. Sie fuhren langsam und ziellos durch die Straßen. Durch die offene Rückseite konnte man Gestelle mit einem Dutzend Liegeplätzen sehen. Männer der unteren Klassen pflegten dem Kutscher ein abgebrochenes Stück eines Paisas zu geben, worauf sie einstiegen und sich zum Schlafen niederlegten.
Das waren fahrbare Herbergen, die ohne Unterlass durch die Stadt rollten. Höchst ungewöhnlich, aber doch auf ihre Weise praktisch.
Viele Tiere gab es auch. Hühner hausten zusammengepfercht in Weidenkörben, die nur einen kleinen Platz auf dem Pflaster einnahmen, aber gefährlich hoch gestapelt waren, sodass der Kot der Vögel an der Spitze von oben herab auf die darunter fiel. Hunde mit verwahrlostem Fell und fehlenden Ohren liefen frei herum. Dazwischen magere Maultiere und stolze Kamele und Frauen, die Schlangen auf gegabelten Stöcken hochhielten, während Zuschauer Münzen in den Eimer warfen, der unten am Stock baumelte.
Alle Klassen, die ich schon vom Tor her kannte, waren unterwegs und viele andere noch dazu. Herausgeputzte Menschen in durchsichtigen Gewändern, deren Schleppen von Dienerinnen getragen wurden. Händler in Tuniken, gefolgt von Herolden, die das Anliegen ihrer Herren mit hoch erhobenen Tafeln verkündeten. Bald erkannte ich das Zusammenspiel ganzer Berufsgruppen in dem Chaos – Arbeiter, Beamte, Männer mit Bündeln von Schriftrollen, Dienerinnen, die die Einkäufe ihrer Herrschaften trugen, Soldaten mit genieteten Harnischen, gefiederten Turbanen und auf den Rücken geschnallten Schwertern.
Jeder schien seinen Platz zu haben und seinen Weg zu kennen, aber die Wegweiser, denen sie folgten, blieben unsichtbar für mich.
Ich ließ mich von der geschäftigen Menge mittreiben. Es erschien mir sinnlos, mich dagegenzustemmen. Es gab keine bestimmte Richtung, in die ich wollte. Meine Kleidung war kalimpurisch genug, dass ich trotz meiner vernarbten Wangen und geschlitzten Ohren keine neugierigen Blicke auf mich zog. Und mein Blick war so grimmig, dass mich die allgegenwärtigen Kinderbanden in Ruhe ließen.
Und wie es in dieser Stadt roch … ich schloss ein paar Schritte lang die Augen, um es auf mich wirken zu lassen. Meine Nase fand ein Gemisch von dampfendem Tee, scharfem Curry, feuchtem schwarzem Kardamom, menschlichem Schweiß, dem Dung von einem Dutzend Tierarten und den Geruch von Feuern. Copper Downs hatte nach Stein und Salzwasser, nach Kohlen- und Holzfeuern gerochen. Diese Stadt duftete nach Essen und der überwältigenden Ansammlung von Menschen und Tieren.
Ich folgte dem Strom und fragte mich, ob ich etwas finden würde, das meinem Leben einen Sinn gab.
Im Verlauf dieses Tages machte ich einen Rundgang durch die ganze Stadt. Mit zwei Paisas erstand ich eine gebratene Taube in Bananenblättern mit einem rötlichen Reis und reichlich orangefarbigem Pfefferpulver, das mir fast die Lippen verbrannte. Ich wusste, dass ich zu viel bezahlt und man sich einen Scherz mit mir erlaubt hatte, doch ich sagte mir, dass alles, was man lernte, seinen Preis hatte.
Die Straße verlief an den Mauern entlang und
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