Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Anflug von Höflichkeit überkam mich, ungewohnt, aber so viel besser, als das Messer zu ziehen und wieder jemanden zu töten. »Ja, Mutter?«
Sie hielt an und stieß ihre Stöcke dreimal auf den Boden. Ein Wagen kurvte hinter ihr, um unserer Gruppe auszuweichen. Der Kutscher begann zu fluchen, wurde meines Blickes gewahr und war plötzlich wortlos bemüht, sein Gespann zu beruhigen.
»Die Liliengöttin heißt mich zu Hause willkommen«, sagte die alte Frau.
»Dann bist du gesegnet, denke ich.« Gesegnet, dachte ich. Was für ein Hohn. Damals betete ich nicht zu Göttern. Copper Downs hatte mir keine gegeben, und in Selistan hatte ich keine gefunden.
»Gesegnet.« Sie sah mich eingehender an. »Unter dem schrecklichen Haar ist ein Mädchen verborgen, wie ich sehe. Wenn du Hilfe brauchst, dann komm und frage beim Tempel nach Mutter Meiko.« Sie schmunzelte, aber ein rätselhafter Funke blitzte in ihren Augen. »Dort gibt es immer einen Platz für eine Frau mit besonderen Talenten.«
»Danke, Mutter.« Ich machte, dass ich weiterkam. Gesellschaft war gut, aber ich wollte kein Mitleid. Eine letzte warme Mahlzeit und ein ernster Versuch, meine Sünden zu vergessen, und ich würde frohen Herzens diese Drehung des Rades hinter mir lassen. Eine Reihe von Trägern mit großen orangefarbenen Tüchern auf den Köpfen stapfte an mir vorbei. Rasch reihte ich mich ein.
Die Menschen drängten auf das Stadttor von Kalimpura zu. Es hatte die Form einer Orchidee, hoch, anmutig und spitz, mit zwei kleineren Türen in den großen Toren. Der Verkehr strömte eine Weile reibungslos, bis der Torkommandant erschien und alles zum Halten kam. Der Durchgang war sehr eng, und ich erfuhr später, dass zwei beladene Esel nicht aneinander vorbeigekommen waren. An dem Tag sah ich nur, dass der große Andrang von draußen dazu führte, dass die Schlange der Wartenden länger wurde, was den Wachen zusätzliche Einnahmen brachte. Sie steckten Bestechungsgelder ein und machten den Wartenden das Leben schwer, indem sie sie einschüchterten.
»Hey, Junge, verschwinde, das ist mein Revier«, polterte ein dicker Mann ohne Finger an der rechten Hand.
»Ich bin nicht in deinem blöden Revier«, erwiderte ich, als mich ein Pferd in seine Reichweite stieß.
Er griff mit der Linken nach mir. Ich versuchte auszuweichen, doch der Mann war unerwartet schnell. Er zog mich zu sich heran, bis ich seinen stinkenden Atem spüren konnte. »Es war schon das Revier meines Vaters und seines Vaters und dessen Vaters. Wenn du hier warten willst, bezahlst du dafür, oder du arbeitest für mich.«
Ich zog mein Messer aus den Sandalenriemen und drückte ihm die Spitze zwischen Arm und Körper. »Wie viel bezahlst du denn?«
Er ließ mich lachend fallen. »Das klingt schon besser.« Er beugte sich wieder näher und fügte hinzu: »Wenn du je wieder eine Klinge gegen mich richtest, Junge, wirst du dein eigenes Messer scheißen, während du versuchst, das Abwasser zu atmen, dass durch ein Loch in deinen Hals läuft.«
»Ach ja?« Ich war zu waghalsig oder gleichgültig, um mich einschüchtern zu lassen.
»Geh und such dir ein paar Eunuchen in der Schlange und knöpf ihnen ihre Kupferpaisas ab. Die bringst du mir dann.« Er grinste. »Oder ich lass dich umbringen.«
So kam es, dass ich die ersten Wochen in Kalimpura verbrachte, ohne je die Stadtmauern passiert zu haben. Meister Kareen, wie mein Revierherr sich nannte, hauste auf seinem Gelände. Nachts brachte ihm einer seiner jungen Handlanger eine Zeltplane und seine Schlafkissen, während ihn andere von uns mit heißem Wein und kaltem Reis von den wartenden Wagen versorgten.
Ich lernte viel. Ich sah die verschiedensten Pilger, Prinzen und Händler und endlose Reihen von Kulis, die Nahrungsmittel, Bambus, Holz und andere Waren in Bündeln und Körben schleppten. Ganz Selistan, dachte ich, wurde auf den Rücken kleiner braunhäutiger Männer transportiert. Wagen wurden für größere Entfernungen verwendet oder für Waren, die ihrer Größe oder ihres Gewichtes wegen nicht getragen werden konnten. Aber wenn etwas innerhalb eines Tages von einem Mann bewegt werden konnte, dann geschah es auch so.
Frauen leisteten keine derartige Arbeit.
Einige führten die Gespanne ihrer Ehemänner und viele waren als Dienerinnen im Gefolge der wenigen Ehefrauen, die ich auf der Straße sah. Es gab keine, die für sich selbst arbeitete.
Mir war nie klar geworden, welche Möglichkeiten die Frauen von Copper Downs in ihrem Leben
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