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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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führte schließlich zum Hafen. Dort wurde die bizarre Architektur schlichter. Die zweckgebundenen Lagerhäuser schränkten die Kreativität merklich ein. Die Menschenmenge im Hafen war ein Gemisch aus Selistanis, Steinküstenleuten, Hanchus, Männern mit tomatenroter Haut, Nomaden, gewaltigen Barbaren und grimmigen, gedrungenen Seeleuten mit kupferfarbener Haut, die schmale Dolche in durchgestochenen Hautlaschen an ihrer Stirn stecken hatten.
    Doch es gab niemanden vom Volk der Tanzmistress, einzig Menschen aller Art und in jeder Größe, Gestalt und Farbe mischten sich unter die braunen Schattierungen meiner Landsleute wie Gewürze in einem Eintopf.
    Obgleich die Entfernung schwer abzuschätzen war, erstreckten sich die Hafenanlagen meinem Empfinden nach von einem Ende zum anderen über etwas weniger als drei Meilen. Hier schien mehr Handelsverkehr stattzufinden, als ich auf meinen beiden Ausflügen in den Hafen von Copper Downs gesehen hatte, und ich fragte mich, warum sich die Steinküste für den Mittelpunkt des Seehandels in diesem Gebiet hielt. Jenseits davon war die Straße schmaler, weniger geschäftig nach hiesigen Maßstäben, aber immer noch belebt, dort wo sie an den hohen Häusern der Reichen und Privilegierten vorbeiführte, welche die seltsamsten architektonischen Blüten von allen trieben – hohe Kuppeln und spiralförmige Mauern und Konstrukte, die wie Traumgebilde aus Eisenholz und farbigem Glas aussahen.
    Als ich einem weiteren Stück Stadtmauer landeinwärts folgte, erreichte ich wieder das gewohnte Gedränge. Ich passierte vier Tore, bevor ich in der Abenddämmerung wieder meinen Ausgangspunkt erreichte.
    Ein halber Tag für einen Rundgang von kaum mehr als sechs Meilen. Verblüffend. In der einsetzenden Dunkelheit hielt ich drei der Schlafwagen an, bevor mich einer aufnahm. Ich wusste nicht, wo ich sonst sicher hätte schlafen können. Jeder Zoll des Bodens, der nicht gerade zur Fortbewegung genutzt wurde, schien jemandem zu gehören, genauso wie draußen vor dem Tor Meister Kareen sein Revier beanspruchte.
    Am Ende des nächsten Tages kehrte die Verzweiflung zurück. Ich hatte fast keine Paisas mehr. Ich sah keine Möglichkeit, hier drinnen jemanden zu berauben und ungehindert zu entkommen. Außerdem war mir inzwischen klar geworden, dass mir die kleinen Taschendiebe auf der Spur blieben.
    Jemand hatte sie auf mich angesetzt.
    Ich erwog, nach einem Schiff zu suchen, aber meine einzigen nautischen Fähigkeiten beschränkten sich auf die Arbeit in der Kombüse. Ich war nicht sicher, ob ich mein Geschlecht während einer ganzen Reise verbergen konnte. Außerdem, wohin sollte die Reise gehen? Nicht zurück nach Copper Downs, wo mir sicherlich viele an den Kragen wollten, wenn meine Rolle beim Sturz des Herzogs bekannt würde. Wohin sonst? Im Land der rothäutigen Männer, denen ich gerade begegnet war, wäre ich eine Fremde ohne Sprache und Ziel.
    Auch hier gab es kein Ziel für mich, doch in Kalimpura war ich nicht so vollkommen fremd. Ich konnte mich inzwischen wenigstens angemessen verständigen.
    Dann erinnerte ich mich an die Worte der alten Pilgerin. Frag im Tempel der Liliengöttin nach Mutter Meiko. Vielleicht brauchten sie jemanden, der ihr Altargold schützte und die Bettler von ihren Toren jagte. Ich vermutete, dass sie mich als Frau erkannt hatte. Wenn meine Tarnung aufflog, wäre ein Frauentempel sicherlich weniger gefährlich als die offene Straße. Dass Meister Kareen mein Geheimnis durchschauen konnte, bedeutete, dass ich mich nicht allzu gut verstellt hatte.
    Doch abgesehen von all dem spürte ich eine Übelkeit in mir aufsteigen. Die Ursache mochte möglicherweise die Taube sein oder eine Verletzung von den Prügeln, die sich durch meinen langen Spaziergang wieder in Erinnerung brachte.
    Ich begann, nach dem Tempel der Liliengöttin zu fragen. Die Leute ignorierten mich, bis schließlich einer der kleinen Taschendiebe auf meiner Spur den Mund aufmachte. »Die Silberne Lilie. Da vorn ist die Statue von Majas Keiler. Von dort gehst du nach Norden zum Blutbrunnen.«
    »Danke«, sagte ich.
    »Ich hab es satt, dir zu folgen«, klagte er. »Wenn du dortbleibst, kann ich nach Hause gehen.«
    Ich fragte gar nicht erst, wer mir diese kleine Laus in den Pelz gesetzt hatte. Meister Kareen hatte mir deutlich genug gezeigt, wie diese Dinge in Kalimpura gehandhabt wurden. Stattdessen folgte ich den Angaben und war neugierig, was wirklich im Blutbrunnen floss und ob er der Liliengöttin heilig

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