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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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gequält nach Luft. »Es ist mir verboten, eine Klinge in deiner Gegenwart blankzuziehen, Sir.«
    »Ravi, sein Messer«, rief Meister Kareen.
    Ravi zog mein Messer aus meiner Gamasche und reichte es, den Griff voraus, vorsichtig dem großen Mann.
    Ich verkroch mich würgend hinter einem Komposthaufen, in dem wir gelegentlich Wertsachen versteckten, deren Besitzrechte ungeklärt waren.
    Zwei Tage lang ließen mich alle in Ruhe. In meiner Abgeschiedenheit erhielt ich kein Essen und humpelte zum Wasser, wenn keiner da war.
    Am dritten Tag stand ich wieder vor Meister Kareen. Die Jungs waren unterwegs, um die Wartenden auszunehmen und Bettlern das Leben schwer zu machen. Ravi hatte mir dort, wo ich schlief, zugerufen, dass mich der Reviermeister noch vor dem Mittag zu sehen wünschte. Also stand ich nun, als die Sonne kaum noch einen Fingerbreit vom höchsten Punkt am Himmel entfernt war, vor ihm.
    An diesem Tag saß Meister Kareen auf einem Thron, der aus einem alten Weinfass gefertigt war. Sein Sitz war mit Brokat ausgelegt, der von irgendwo jenseits des Meeres stammen musste, denn er war vollkommen anders als die in Kalimpura üblichen Stoffe. Die Sonne brannte auf seinen Kopf herab, während sein Blick zunächst auf das Verkehrsgedränge hinter mir gerichtet war. Stumm und entschlossen musterte er mich dann eine Weile. Wir hätten ebenso gut in einem geschlossenen Raum sein können, so hoch war die Mauer des Schweigens um uns.
    »Wenn ich ein klügerer Mann wäre, würde ich dich wahrscheinlich jetzt töten.« Seine Handgelenke spannten sich, als wollten sich seine restlichen Finger um meinen Hals legen. »Nun ist es aber so, dass mich viele für einen Narren halten.«
    Ich wusste, dass das alles andere als die Wahrheit war, aber ich hielt den Mund. Wenn es darauf ankam, würde ich trotz meiner Schmerzen und Verletzungen schneller sein als er. »Aber …« Er brach ab und verlagerte sein Gewicht auf dem Thron. »Ich besitze kein Recht zu töten. Diejenigen, die Gewalt über Seelen haben, wachen eifersüchtig über ihre Privilegien.« Meister Kareen beugte sich vor. »Du bist nie unter deinesgleichen gewesen, nicht?«
    »Nein«, gestand ich. Ich hatte nicht ein einziges Wort über mein bisheriges Leben verloren, aber irgendwie wusste er es.
    »Das dachte ich mir. Es ist dir unmöglich, Vertrauen zu gewinnen. Du weißt nicht genug, um zu erkennen, wenn sich andere dir öffnen.« Er seufzte. »Du bist wahrscheinlich der fürchterlichste Junge, der mir untergekommen ist, seit ich selbst erwachsen wurde. Schnell bei deiner Arbeit, tollkühn, zäh, wenn es darauf ankommt, aber du weißt nicht, wann es Zeit ist, loszulassen und einfach nur ein Junge unter Jungen zu sein. Ich fürchte, so wirst du niemals ein Mann unter Männern werden.«
    Ich wusste natürlich, weshalb das so sein würde. Ich war eben kein Mann. Die Bemerkung weckte aber meine Neugier. »Was meinst du damit, Sir?«
    »Weil dich jemand aus Wut oder in Gegenwehr töten wird. So wie du es herausforderst, werden sie sich höchstwahrscheinlich nicht um das Tötungsrecht scheren.« Er zog mein Banditenmesser unter seinem Schenkel hervor. »Ich entlasse dich und lege dir nahe, so schnell wie möglich aus dem Torbereich zu verschwinden. Sonst könnten Ravi und seine kleinen Freunde in Versuchung kommen, das Tötungsrecht in die eigene Hand zu nehmen.«
    Es tat mir irgendwie leid, und dieses Bedauern überraschte mich. Denn zum ersten Mal, seit ich Ausdauer verlassen musste, fühlte ich etwas anderes als nur Verzweiflung und Wut. Ich genoss dieses Gefühl wie ein kostbares Gewürz, während ich das Messer von ihm entgegennahm.
    »Erlaube mir eine Frage«, sagte er leise. »Ich habe bereits festgestellt, dass du jenseits des Meeres allein aufgewachsen bist. Du bist wie ein Tiger, der in einem Käfig zur Welt kam. Du hast keine Ahnung vom Jagen oder von anderen Katzen, obgleich du mächtige Klauen und Zähne hast. Sag mir eines: Bist du überhaupt ein Junge?«
    Mit dem Messer in der Hand starrte ich ihn an. »Betrifft das Tötungsrecht auch Frauen?«
    »Also …« Meister Kareen lächelte breit. »Du hast gute Chancen, noch eine Weile am Leben zu bleiben, Green. Oh ja, die Frauen unserer Stadt sind davon ausgenommen.«
    Ich schob das Messer in meinen Beinschutz und bemühte mich, die Nachwirkungen der bezogenen Prügel nicht zu zeigen. Ich nickte Kareen zu, hob meinen Beutel mit der Glöckchenseide auf und tauchte in der Menge unter. Ich schritt zielstrebig zum Tor.

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