Der verborgene Stern
KAPITEL
Nachtfieber
B ailey hatte es sich so gemütlich vorgestellt, wie sie sich mit einem Stapel Bücher und einer Kanne starkem Kaffee wieder an den Küchentisch setzte und den Abend mit Lesen verbrachte. Stattdessen hatte Cade sie aus dem Haus gejagt, bevor sie überhaupt wusste, wie ihr geschah.
Sie bräuchte dringend Ablenkung, behauptete er. Musik. Sie müsse ein paar Erfahrungen machen.
Und was für Erfahrungen.
Noch nie zuvor hatte sie so etwas gesehen. Zumindest glaubte sie das. Der aus allen Nähten platzende Klub im Herzen von Georgetown vibrierte vor Leben. Die Musik war so laut, dass sie ihre eigenen Gedanken nicht mehr verstehen konnte.
Cade ergatterte einen kleinen Tisch in einer der hinteren Ecken des Raumes. Er ging zur Bar, kam mit zwei Gläsern Mineralwasser zurück, setzte sich und beobachtete das Spektakel. Oder vielmehr beobachtete er Bailey, wie sie das Spektakel beobachtete.
Sie traute ihren Augen nicht. Die Gäste schienen sich entweder gar nicht zu kennen oder gut genug, um auf der Tanzfläche quasi Sex miteinander zu haben. Anders konnte man die heißen, wilden Bewegungen im Rhythmus der Musik jedenfalls nicht bezeichnen. Lichter blitzten auf, Stimmen ertönten, und kein Mensch schien irgendwelche Sorgen zu haben.
„So verbringst du also normalerweise deine Wochenenden?“ Sie musste ihm ins Ohr brüllen und war sich trotzdem nicht sicher, ob er sie verstand.
„Ab und zu.“ Eigentlich nie, dachte er, während er die alleinstehenden Frauen an der Bar musterte. Die Idee, sie hierherzubringen, war ihm spontan gekommen. Schließlich konnte nicht einmal sie unter solchen Bedingungen vor sich hin grübeln. „Das ist eine lokale Band.“ Er rutschte näher und legte einen Arm um ihre Schultern. „Purer, ehrlicher Rock. Kein Country, keine Schnulzen, einfach nur Rock. Wie findest du’s?“
Sie versuchte, sich auf den harten, pulsierenden Rhythmus zu konzentrieren. Der Sänger schrie etwas über miese Geschäfte und dunkle Machenschaften ins Mikrofon.
„Ich weiß nicht, aber ganz sicher handelt es sich nicht um die Ode an die Freude .“
Er lachte, dann nahm er ihre Hand. „Los, lass uns tanzen.“
Panik ergriff sie, ihre Hände wurden feucht, ihre Augen riesig. „Ich glaube, ich kann gar nicht …“
„Zum Teufel, Bailey. Auf der Tanzfläche ist gerade genug Platz, um vielleicht ein paar der Zehn Gebote zu brechen. Dafür muss man nicht tanzen können.“
„Ja, aber …“ Doch da zerrte er sie bereits hinter sich her, und sie konnte gar nicht zählen, wie vielen Leuten sie dabei auf die Füße trat. „Cade, ich würde lieber nur zusehen.“
„Du bist hier, um etwas zu erleben!“ Damit riss er sie in seine Arme und umfasste ihre Taille mit einer so besitzergreifenden Geste, dass ihr die Luft wegblieb. „Siehst du? Ein Gebot ist schon gebrochen.“ Er grinste und presste seinen Körper aufreizend an ihren. „Der Rest ist leicht.“
„Ich glaube, ich habe so etwas noch nie gemacht …“ Unter den blitzenden Lichtern wurde ihr ganz schwindlig.
Vermutlich hatte sie recht. Viel zu viel Unschuld lag in ihren Bewegungen und in der Art, wie ihre Wangen sich rot färbten. Sanft ließ er eine Hand über ihren Po gleiten. „Wir tanzen doch nur.“
„Ich glaube nicht, dass das Tanzen ist. Ich schätze, daran könnte ich mich erinnern.“
„Leg die Arme um mich.“ Als sie sich nicht rührte, sorgte er selbst dafür, hob ihre Arme und legte sie sich um den Hals. „Und jetzt küss mich.“
„Wie bitte?“
Sein Gesicht war ganz nahe, die Musik erfüllte ihren Kopf, besetzte ihre Gedanken. Sein Körper und all die anderen Körper, die sich von überallher an sie drängten, strahlten eine unglaubliche Hitze aus. Sie konnte nicht atmen, konnte nicht denken, und als er seinen Mund auf ihre Lippen presste, war sie vollkommen einverstanden.
In ihrem Kopf hämmerte der Backbeat. Die Luft war dick und roch nach Rauch und Parfüm und Alkohol. Sie wiegte sich in seinen Armen und öffnete die Lippen.
„Wenn wir zu Hause geblieben wären, lägen wir jetzt im Bett“, murmelte er an ihrem Mund, dann wanderte er mit den Lippen zu ihrem Ohr. Sie trug das Parfüm, das er ihr gekauft hatte. Der Duft kam ihm vertraut vor. „Ich will mit dir schlafen, Bailey. Ich will in dir sein.“
Sie schloss die Augen. Ganz bestimmt hatte niemand zuvor solche Dinge zu ihr gesagt. Diese Wonneschauer, diese wilde Angst hätte sie sicher nicht vergessen. Ihre Finger glitten zitternd in sein
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