Der verbotene Fluss
was haben Sie dabei herausgefunden?«
Sie spürte, wie sie bei der letzten Frage rot wurde. »Nun, ich habe versucht, mich umzuhören und umzusehen. Was nicht leicht ist, da ich dabei keinen Verdacht erregen darf. Mein Arbeitgeber duldet keinerlei Gerede. Und manches wird – verschwiegen.« Sie hielt inne und atmete tief durch. »Aber lassen Sie mich am Anfang beginnen. Am Tag meiner Ankunft holte Wilkins, der Kutscher, mich am Bahnhof von Dorking ab …«
Zum ersten Mal konnte Charlotte jemandem alles anvertrauen, was sie in den vergangenen Wochen erlebt hatte, und sie erkannte, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, ihre Sorgen mit jemandem zu teilen. Mr. Ashdown hörte aufmerksam zu und stellte nur wenige Fragen, und auch sonst störte nichts ihren Redefluss. Die englische Sprache bereitete ihr keine Mühe. Während sie erzählte, fielen ihr immer neue Dinge ein, und sie hoffte, dass das, was sie vergaß, in ihren Aufzeichnungen zu finden sein würde.
Erst als sie geendet hatte, wurde ihr bewusst, dass sie ihr Gegenüber kaum noch erkennen konnte, so dunkel war es im Zimmer geworden.
»Oh, wir sollten das Gas höher drehen«, sagte sie verlegen.
Mr. Ashdown erledigte das und wandte sich dann wieder ihr zu. »Vielen Dank, das war sehr aufschlussreich. Eigentlich hätte ich mir Notizen machen müssen, aber Ihr Bericht war so fesselnd, dass ich es völlig vergessen habe. Zum Glück haben Sie mir Ihre Aufzeichnungen mitgebracht.«
Sie machte Anstalten, sich aus dem Sessel zu erheben. »Wenn Sie keine Fragen mehr haben …«
Er hob die Hand. »Nur noch eins – würden Sie mir die Ehre erweisen und den Tee mit mir einnehmen? Wie ich hörte, soll es hier im Ort ausgezeichnete scones geben.«
Charlotte errötete und suchte nach einer angemessenen Antwort. Natürlich handelte sie mit Sir Andrews Einverständ nis, wenn sie sich Mr. Ashdowns Befragung unterzog, doch schloss dies auch einen Besuch in der Teestube ein? Würde es nicht zu Gerede führen? Dann aber erfasste sie ein angenehmer Schwindel, eine Leichtigkeit, die wie Seifenblasen in ihrer Brust emporstieg, und sie erwiderte: »Es wäre mir ein Vergnügen, Mr. Ashdown.«
Charlotte war etwas besorgt, als sie die Blicke der Misses Finch bemerkte, nickte aber freundlich zu ihnen hinüber und wartete, bis Mr. Ashdown ihr einen Stuhl zurechtgerückt hatte. Sie versuchte, sich ihre Kühnheit zu bewahren, indem sie die anderen Gäste ignorierte und sich ganz auf ihren Begleiter konzentrierte, musste aber feststellen, dass sein Blick kaum weniger beunruhigend war. Tief in seinen braunen Augen funkelte es schelmisch.
»Wenn ich ehrlich bin, hatte ich mir diesen Auftrag nicht so angenehm vorgestellt.«
»So wird es nicht bleiben.«
»Das hat gesessen.« Das Funkeln verschwand. »Ich habe Sie unterschätzt. Verzeihung, wenn ich Sie mit einem billigen Kompliment gekränkt habe.«
»Ich bin nicht gekränkt«, sagte Charlotte versöhnlich und verfluchte sich, weil sie die Seifenblasen selbst zum Platzen gebracht hatte. »Nur sollten wir nicht vergessen, dass es um das Wohl eines kleinen Mädchens geht.«
Miss Ada trat an den Tisch und begrüßte sie herzlich, wobei sie einen neugierigen Seitenblick auf Charlottes Begleiter warf. »Was darf ich Ihnen bringen?«
»Tee und scones «, sagte Mr. Ashdown. »Sie sollen hier besonders gut sein, wie ich hörte.«
»Wie nett, dass Sie Werbung für uns gemacht haben«, sagte Miss Ada an Charlotte gewandt.
»Das erzählt man sich überall im Ort«, erklärte Mr. Ashdown. »Ihr Ruhm ist weit vorgedrungen, wenn ich das sagen darf. Und wenn Sie mich nicht enttäuschen, wird man bald auch in der Hauptstadt von Ihren scones sprechen.«
Charlotte sah, wie Miss Ada errötete und rasch zu ihrer Schwester eilte. Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Sie verstehen es, einer Dame Komplimente zu machen.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Sie haben vorhin darauf bestanden, dass Sie die Fragen stellen, was ich natürlich voll und ganz akzeptiere. Darf ich denn etwas fragen, das nichts mit Ihrem Auftrag zu tun hat?«
Er stützte den Kopf in die Hand und sah sie erwartungsvoll an. »Nur zu.«
»Sind Sie ThAsh ?«
Er lachte. »Haben Sie etwas von mir gelesen? Hoffentlich nur Gutes.«
»Einer Ihrer Artikel hat mir in einer unruhigen Nacht großes Vergnügen bereitet.«
»Wie das?«
»Nun, ich konnte nicht schlafen und versuchte, mir die Zeit zu vertreiben. Dabei entdeckte ich zufällig Ihre Besprechung eines
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