Der verbotene Fluss
einer Gouvernante nicht selbstverständlich. Man che empfinden die Kinder nur als notwendiges Übel«, sagte er mit entwaffnender Offenheit.
»Das mag sein, aber Emily ist ein liebenswertes Kind, fleißig und an vielen Dingen interessiert. Daher – liegt mir viel daran, ihr zu helfen.«
Mr. Ashdown stellte die Tasse ab, lehnte sich zurück und schaute auf seine Hände. »Wie ich gestern bereits sagte, ist dies eine heikle Mission, weil es um ein Kind geht – ein Kind, das nicht weiß, welchen Verdacht seine Umgebung hegt, das um jeden Preis geschützt werden muss. Ich weiß offen gestanden nicht, ob ich dieser Aufgabe gewachsen bin.«
»Allein die Tatsache, dass Sie an sich zweifeln, zeigt, wie ernst Sie die Angelegenheit nehmen«, erwiderte Charlotte spontan und wurde ein wenig rot.
Er lächelte. »Nun, so kann man Zweifel natürlich auch betrachten. Sehen Sie immer in allem das Gute?«
Die persönliche Frage brachte sie etwas aus der Fassung. »Nein, nicht immer, aber ich bemühe mich.«
Dieser Mann hatte in kurzer Zeit schon so viele verbale Haken geschlagen, dass sie beschloss, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen.
»Eine Gegenfrage: Glauben Sie an Geister, Mr. Ashdown?«
Er hob flüchtig die Augenbrauen, bevor sich sein Mund zu einem Lächeln verzog. »Ich dachte, ich stelle hier die Fragen.«
»Natürlich. Aber wenn ich Ihnen persönliche Dinge anvertrauen soll, betrachte ich es als mein gutes Recht, auch etwas über Sie zu erfahren. Die Sache ist sehr heikel, Emily oder ihr Vater könnten Schaden nehmen, wenn etwas nach außen dringt. Wenn Sie glauben, dass Sie diesem Fall nicht gewachsen sind, sollte vielleicht jemand anders …«
Er wurde plötzlich ernst. »Ich bin mir der Verantwortung durchaus bewusst, auch wenn meine Bemerkung leichthin geklungen haben mag. Und was Ihre Frage betrifft, antworte ich als Agnostiker: Ich weiß es nicht. In den vergangenen zwei Jahren habe ich mich eingehend damit beschäftigt und kann weder behaupten, dass ich von der Existenz von Geistern überzeugt bin, noch, dass ich sie kategorisch abstreite.«
»Und auf dieser Grundlage können Sie sich ein Urteil bilden?«
»Ich glaube, dass ich mir nur auf dieser Grundlage ein Urteil bilden kann. Eine allzu feste Überzeugung trübt das Urteilsvermögen.«
Er stand auf und ging langsam im Zimmer umher, blieb dann stehen und schaute Charlotte aufmerksam an.
»Ich habe einen Scharlatan kennengelernt, wie er schlimmer nicht sein könnte, der gutgläubigen Menschen Geld aus der Tasche zieht und vorgibt, er könne ihre toten Verwandten heraufbeschwören. Andererseits hatte ich die Ehre, eine Dame aus Amerika kennenzulernen, der all meine gelehrten Kollegen keinerlei Betrug nachweisen konnten, die niemals Geld für ihre Dienste nimmt und die erstaunliche, unerklärliche Dinge zuwege bringt. Die Begegnung mit ihr hat mich nachdenklich gestimmt, das gebe ich zu. Allerdings habe ich nie persönliche Erfahrungen mit übersinnlichen Wahrnehmungen, Geistern oder wie immer Sie es nennen möchten gemacht. Und ich weiß auch nicht, ob ich das möchte.«
Bei diesen Worten wandte er sich kurz ab, doch Charlotte hatte den seltsamen Ausdruck in seinem Gesicht bemerkt.
»Reicht Ihnen das als Erklärung?«, fragte er und sah sie wieder an.
»Ja. Verzeihen Sie, wenn ich an Ihnen gezweifelt habe. Was Sie sagen, ist durchaus logisch. Bitte stellen Sie mir Ihre Fragen.« Sie lächelte und holte die Aufzeichnungen aus ihrer Handtasche. »Wenn Sie möchten, können Sie das hier in Ruhe lesen. Es … Es ist eine Art Tagebuch meines Aufenthalts in Chalk Hill. Sie finden darin einiges über Emily und die Familie.«
Er sah sie überrascht an. »Wollen Sie mir das wirklich anvertrauen?«
»Ja«, antwortete sie schlicht. »Ich habe die wichtigsten Stellen ins Englische übersetzt.«
»Dann danke ich Ihnen vielmals. Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich dennoch mit einigen Fragen beginne.«
Er legte die Blätter auf den Tisch und goss ihr Kaffee nach. Charlottes Blick verweilte auf seinen schlanken, kräftigen Fingern. Es sieht aus, als würde er das öfter machen. Rasch verdrängte sie den Gedanken.
»Erzählen Sie mir, wie Sie nach Chalk Hill gekommen sind, welchen Eindruck Sie von der Familie und dem Haushalt hatten. Wann begannen die sonderbaren Ereignisse, die Sie und Sir Andrew so beunruhigen? Wer weiß darüber Bescheid? Wissen Sie, was die Dienstboten reden? Haben Sie auf eigene Faust Erkundigungen eingezogen, und wenn ja,
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