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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Augenblick schien jedes weitere Argument sinnlos, deshalb erhob sie sich von ihrem Stuhl. »Dann ziehe ich mich jetzt zurück. Soll ich Mr. Ashdown zu Ihnen schicken?«
    Er nickte unwillig.
    Charlotte war dankbar, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
    »Ich habe ihm das Puppenhaus gezeigt, und er hat sich mein Zimmer angesehen. Und er hat Fragen gestellt.«
    »Tatsächlich?« Charlotte schaute aus dem Fenster, und ihre Augen blieben unwillkürlich am Tor in der Mauer hängen.
    »Ja. Für einen Gentleman ist er ziemlich neugierig.«
    »Sag mal, Emily, hättest du Lust, mal wieder die Mortons zu besuchen? Mrs. Morton hat uns eingeladen.«
    Das Mädchen strahlte. »Die Kaninchen warten sicher schon auf mich. Darf ich ihnen Möhren mitnehmen?«
    »Sicher, du kannst die Köchin danach fragen.«
    »Kommt Mr. Ashdown auch mit?«
    Charlotte sah sie überrascht an. »Warum fragst du?«
    Emily zuckte mit den Schultern. »Er ist doch immer bei uns, neuerdings. Und Sie haben gesagt, er möchte sich die Gegend ansehen.«
    »Meinst du denn, wir sollen ihn mitnehmen? Dann könntest du ihm die Kaninchen zeigen.«
    »Ja, er darf mitfahren.« Sie schaute auf ihren Schoß, auf dem eine Puppe mit Porzellankopf und langen, braunen Haaren saß. »Fräulein Pauly … Wieso haben Sie mich vorhin beim Tee so angeschaut, als ich nach dem Kuchen gefragt habe?«
    Charlotte entschied sich spontan für die Wahrheit. »Nun, du hast kurz vorher erzählt, deine Mutter würde mit dir sprechen.«
    Emily hob langsam die Augen und sah sie unsicher an. »Wirklich?«
    »Ja. Es war, als würdest du mit offenen Augen schlafen. Irgendwann bist du mit einem Ruck aufgewacht und hast nach deinem Kuchen gefragt. Deshalb haben Mr. Ashdown und ich so überrascht ausgesehen.«
    Sie wartete, dass Emily weitersprach, doch das Mädchen schwieg und kämmte der Puppe mit den Fingern die Haare. Wieder und wieder zog sie sie durch die dunklen Strähnen, während ihr übriger Körper völlig reglos blieb.
    Charlotte wollte nicht weiter in sie dringen. Sie stand auf, holte Grimms Märchen und schlug die Seite mit den »Bremer Stadtmusikanten« auf. Heute Abend würde es keine Geschichten von abgetrennten Pferdeköpfen und kalten Herzen geben.
    »Mr. Ashdown wird die Nacht bei uns im Hause verbringen«, verkündete Sir Andrew beim Abendessen.
    Charlotte sah ihn überrascht an.
    »Sir Andrew war so freundlich, mir sein Gästezimmer zur Verfügung zu stellen, da ich nach dem Vorfall von heute Nachmittag die Befürchtung geäußert habe, dass Emily eine unruhige Nacht erleben könnte«, sagte Mr. Ashdown und tauchte den Löffel in die Suppentasse. Sein Verhalten ließ nicht erkennen, wie das Gespräch mit Sir Andrew verlaufen war.
    Emily wurde danach nicht mehr erwähnt. Bald drehte sich das Gespräch um Politik, was in Anwesenheit von Damen eigentlich nicht schicklich war, doch eine Gouvernante war wohl von dieser Regel ausgenommen. Charlotte hörte ohnehin nicht zu, da ihr andere Fragen durch den Kopf gingen. Weshalb hatte Sir Andrew so sonderbar reagiert, als sie sich nach Emilys Arzt erkundigte? Wäre es nicht überhaupt naheliegend gewesen, zunächst einen Mediziner zu befragen, bevor man einen Geisterjäger hinzuzog? Sie warf einen Blick zu Mr. Ashdown, der seinem Gastgeber aufmerksam zuzuhören schien, dabei aber kaum merklich mit den Fingern einer Hand auf den Tisch trommelte. War auch er in Gedanken woanders?
    Sie dachte an den Besuch in der Teestube und wie angeregt sie sich unterhalten hatten. In der bedrückenden Atmosphäre von Chalk Hill kam es ihr vor, als läge dieser Nachmittag schon weit in der Vergangenheit. Während sie mit höflicher, ausdrucksloser Miene am Tisch saß, spürte sie, wie die Angst, die sie bis jetzt unterdrückt hatte, in ihr wuchs. Es war, als hätte etwas von Emily Besitz ergriffen, das stärker an die Oberfläche drängte, seit Mr. Ashdown ins Haus gekommen war. Zuerst das sonderbare Spiel mit dem Puppenhaus, dann der Vorfall beim Tee. War es der Gast, der diese Entwicklungen in ihr ausgelöst hatte? Oder wehrte sich das Etwas, was immer es auch sein mochte, gegen sein Eindringen in die festgefügte Welt von Chalk Hill?
    Charlotte schluckte. Was waren das für wirre Gedanken? Ein Etwas, das sich gegen Mr. Ashdowns Untersuchung sträubte? Wenn sie so weitermachte, würde sie noch den Verstand verlieren. Zumindest den gesunden Menschenverstand.
    »… Fräulein Pauly hat sicher nichts dagegen.«
    Charlotte blickte mit einem Ruck hoch.

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