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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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hinausstürzen …«
    »Sie hat keinerlei Anstalten gemacht, sich zu bewegen«, er widerte Charlotte. »Außerdem soll man Schlafwandler nicht wecken.«
    Sie nahm Emily vorsichtig hoch und legte sie ins Bett, dann breitete sie die Decke über das Mädchen und schob Nora energisch in den Flur.
    In diesem Augenblick kam Sir Andrew von unten herauf und knotete gerade noch den Gürtel seines Morgenmantels zu. »Was geht hier vor?«
    Ehe Charlotte etwas sagen konnte, entgegnete Mr. Ashdown ruhig: »Ich habe etwas gehört und mir erlaubt nachzusehen. Fräulein Pauly wollte Sie gerade verständigen, weil Miss Emily schlafgewandelt ist.«
    Die Dankbarkeit durchflutete Charlotte wie eine warme Welle.
    »Sie stand wieder am Fenster und hat von ihrer Mutter geträumt. Wir haben sie ins Bett gelegt; sie ist ganz friedlich.«
    »Nun« – Sir Andrew schaute sie nacheinander an – »dann können wir wohl alle wieder zu Bett gehen und die verdiente Nachtruhe genießen.«
    Als er hinuntergegangen war, schickte Charlotte Nora in ihr Zimmer. »Und nächstes Mal erschreckst du sie nicht so. Das kann gefährlich sein.«
    »Ja, Miss«, erwiderte das Kindermädchen kleinlaut.
    Als Nora die Tür hinter sich geschlossen hatte, standen Charlotte und Mr. Ashdown allein im Flur. Keiner rührte sich. Charlotte schaute zu Boden. Als sie hochsah, begegnete sie Mr. Ashdowns nachdenklichem Blick.

28
    Die Apotheke in Reigate war Tom Ashdowns erstes Ziel. Der hagere, dunkelhaarige Apotheker warf einen prüfenden Blick auf das Glas, das Tom in der Hand hielt, und schaute ihn über seine halbmondförmigen Brillengläser hinweg an.
    »Ja, das ist eines von meinen, Sir. Kaliumantimonyltartrat, ein bewährtes Mittel, das natürlich mit Vorsicht anzuwenden ist.«
    Tom hätte gern gefragt, ob jemand aus Chalk Hill es gekauft hatte, wollte aber keinen Anlass zu Gerede geben. Also erkundigte er sich nach dem Weg zu Dr. Pearsons Praxis.
    »Scheußliches Wetter«, sagte der Apotheker mit einem düsteren Blick auf die Straße. »Ich hoffe, Sie haben es nicht an der Lunge.«
    Tom fragte sich belustigt, ob er so angegriffen aussah, oder ob der Apotheker nur höfliche Konversation betreiben wollte. »Nein, nein. Wenn Sie mir bitte … Ich bin etwas in Eile.«
    Der Apotheker winkte ihn ans Fenster und deutete auf die verregnete Straße.
    »Sie gehen die High Street rechts hinunter und biegen an der nächsten Kreuzung rechts ab. Den Hügel hinauf, und dann die dritte Straße links. Ein rotes Haus mit einem Messingschild an der Tür. Sie können es gar nicht verfehlen.«
    Tom bedankte sich und verließ die Apotheke. Er sah noch, wie der Besitzer einen Blick auf die Hustenbonbons und Dosen mit Brustbalsam warf, die er, passend zur Jahreszeit, auf der Theke angeordnet hatte. Vermutlich hoffte er bei diesem unwirtlichen Wetter auf gute Kundschaft.
    Der Schirm hielt den Regen, der von allen Seiten auf ihn einprasselte, nur unzureichend ab, und Tom fluchte innerlich, weil er keinen Wagen, sondern den Zug nach Reigate genommen hatte. Nachdem Miss Pauly ihm erzählt hatte, dass Sir Andrew den Arzt nicht mehr in seinem Haus geduldet hatte, war er sofort aufgebrochen.
    Allmählich fand er Gefallen an seinem Auftrag, der sich ganz anders entwickelte, als er es nach seinen Erfahrungen mit Henry Sidgwicks Kreis erwartet hatte. Die Arbeit ähnelte tatsächlich mehr der eines Detektivs, wenngleich die kleine Emily von etwas beherrscht zu sein schien, für das er noch keine Erklärung hatte. Eine Geisteskrankheit – wenngleich eine schreckliche Vorstellung bei einem so kleinen Mädchen – schien denkbar, doch fügte sich einiges nicht ins Bild. Am Nachmittag wollten sie den Geistlichen und seine Frau besuchen, und Tom hoffte, dort vielleicht noch etwas zu erfahren.
    Der Abend zuvor war in seinen Augen sonderbar verlaufen. Er spürte, dass Sir Andrew Vorbehalte gegen ihn hegte, auch wenn ihm noch nicht klar war, woher diese rührten. Immerhin hatte er selbst die Society hinzugezogen.
    Fräulein Pauly hatte ihm erzählt, wie heftig Sir Andrew auf die Frage nach dem Arzt reagiert hatte. Dabei hatte sie verlegen gewirkt, als fühlte sie sich zwischen der Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber und dem Wunsch, Emilys Geheimnis aufzudecken, hin und her gerissen. Es gab viele Tabus in dieser Familie, und ihn reizte grundsätzlich nichts mehr als jene Dinge, über die zu sprechen man ihm verboten hatte.
    Unsanft wurde er aus seinen Überlegungen gerissen: Seine Schuhe hielten der

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