Der verbotene Fluss
beimaß, die sie gar nicht besaßen.
Während sie ihre Unterhaltung fortsetzten, bemühte sich Charlotte, bei der Sache zu bleiben, doch ihre Gedanken schweiften ständig ab.
Dann kam Emily mit einem Kaninchen auf dem Arm hereingehüpft.
»Fräulein Pauly, das ist Molly, der Reverend hat gesagt, ich darf sie Ihnen zeigen.«
Charlotte streichelte das weiche Fell des Tieres, das in Emilys Armbeuge kauerte. Es roch wunderbar nach Heu und frischem Gras.
»Was hat Mr. Ashdown denn zu den Kaninchen gesagt?«
»Er fand sie sehr niedlich. Und ich soll Ihnen ausrichten, dass er eine kleine Runde durchs Dorf macht und sich kurz die Kirche anschaut, bevor er zum Tee kommt.«
Charlotte verbarg ihre Verwunderung und erklärte sich bereit, das Kaninchen gemeinsam mit Emily zurück in den Stall zu bringen, damit sie sich auch noch Holly, Polly und Jolly anschauen konnte, die dort mit dem Reverend auf die Rückkehr ihrer Schwester warteten.
Mr. Morton sagte: »Mr. Ashdown interessiert sich wohl für Kirchen. Ich habe ihm erzählt, dass St. Michael and All Angels normannischen Ursprungs ist und vor etwa fünfzig Jahren baulich verbessert wurde.« Sein Tonfall ließ erkennen, dass er die sogenannten Verbesserungen ganz und gar nicht guthieß. »Ich habe ihm angeboten, ihn bei Gelegenheit durch die Kirche zu führen, aber er wollte schon einmal einen kurzen Blick darauf werfen. Er wird gleich zum Tee erscheinen, meine Liebe«, fügte er, an seine Frau gewandt, hinzu.
Mr. Ashdowns angebliches Interesse an Kirchenbau erstaunte Charlotte, bis ihr der Gedanke kam, dass dies möglicherweise nur ein Vorwand gewesen war, um allein ins Dorf gehen zu können.
Eine Viertelstunde später führte ihn das Hausmädchen herein. Er verbeugte sich leicht vor Mrs. Morton. »Verzeihen Sie, aber ich konnte einfach nicht umhin, einen Blick auf Ihre Kirche zu werfen. Die Form des Turms ist äußerst ungewöhnlich.«
Während sie sich an den Teetisch begaben, verlieh der Reverend seiner Genugtuung darüber Ausdruck, dass wenigs tens der Turm in seiner ursprünglichen Form erhalten geblieben war.
»Vandalen, sage ich Ihnen, Vandalen. Ohne jeden Respekt vor der Würde des Mittelalters.«
Beim Tee plauderten alle angeregt, wobei Mr. Ashdown einen Großteil der Unterhaltung bestritt. Er erzählte harmlose Anekdoten aus London, die sich für ein Pfarrhaus und die Gegenwart eines Kindes eigneten. Stürmische Heiterkeit erntete er, als er von einer Theateraufführung berichtete, in der man einen Schiffbruch besonders naturgetreu habe darstellen wollen, der Wassermassen aber nicht mehr Herr geworden sei, die sich daraufhin in den Orchestergraben ergossen und alle Instrumente bis zur Größe eines Kontrabasses davonschwemmten.
»War das wirklich so?«, rief Emily begeistert.
»Ich war dabei. Zum Glück saß ich in einer Loge – die Schuhe der Zuschauer in den ersten Reihen waren leider ruiniert.«
Charlotte betrachtete ihn lächelnd. Er war der geborene Erzähler.
Nach dem Tee verabschiedeten sie sich von den Mortons und bedankten sich für die freundliche Einladung.
» Mein ganz besonderes Kompliment für die Zitronenschnitten«, sagte er begeistert. »Und meine Empfehlung an die Köchin.«
»Die habe ich selbst gebacken«, erwiderte Mrs. Morton freudig. »Das Rezept stammt noch von meiner lieben Mutter.«
»Ein ausgezeichnetes Vermächtnis, Mrs. Morton.«
Draußen wartete Wilkins mit der Kalesche. Während der Fahrt spürte Charlotte Mr. Ashdowns Blick auf sich, doch er blieb schweigsam. Nachdem sie vor dem Haus angehalten hatten, half er ihr aus dem Wagen und legte leicht die Hand auf ihren Arm.
»Ich würde gern mit Ihnen sprechen. Allein.«
Sie schickte Emily nach oben zu Nora und bat ihn ins Speisezimmer.
»Sie werden sich sicher gedacht haben, dass mein vorrangiges Interesse nicht der normannischen Kirche galt.«
»Tilly Burke.«
»Genau.«
»Sind Sie ihr begegnet?«
Er setzte sich und schlug die Beine übereinander, holte seine Pfeife hervor und fragte: »Darf ich?«
Auf ihr Nicken hin begann er die Pfeife zu stopfen. »Sie haben vollkommen recht. Ihre Worte sind eine faszinierende Mischung aus Wahn und Wahrheit.« Er holte einen Zettel aus der Westentasche. »Ich habe sie in ihrem Garten angesprochen und gefragt, ob sie die Familie Clayworth kenne. Ich zitiere: ›Die Wasser steigen. Sie muss zu ihrem Kind. Warum kommt Emily mich nicht mehr besuchen?‹«
Charlotte nickte nachdenklich. »Was wollen Sie jetzt unternehmen?«
Er
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