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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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einen langen Flur und öffnete im Gehen die Türen.
    »Dieses Zimmer ist für Miss Emily, das nächste für Sie, Miss. Nebenan befindet sich Ihr Wohnzimmer, in dem Sie auch den Unterricht abhalten können.«
    Charlotte störte es nicht, dass es hier kein eigenes Schulzimmer gab, und dass sie neben Emily schlief, war ihr nur recht. So würde sie einen nächtlichen Zwischenfall sofort bemerken.
    »Mrs. Clare, Sie könnten mir einen Gefallen tun«, sagte sie unvermittelt. »Kennen Sie eine Werkstatt oder ein Spielwarengeschäft, in dem man Puppen reparieren lassen kann?«
    »Meine Pamela braucht ein neues Gesicht«, warf Emily ein.
    Mrs. Clare lächelte. »Auf Anhieb fällt mir keine Werkstatt ein, aber ich werde mich umhören. Natürlich finden wir einen Puppendoktor für deine Pamela.«
    Eine angenehme Wärme durchflutete Charlotte, die nichts mit der gut geheizten Wohnung zu tun hatte. Diese Frau wirkte mütterlich und herzlich, ganz anders als Mrs. Evans, und schien auf Anhieb Emilys Vertrauen gewonnen zu haben. Vielleicht hätte Sir Andrew nach dem Tod seiner Frau öfter mit dem Mädchen nach London kommen sollen. Wie kalt, feucht und dunkel erschien ihr Chalk Hill im Vergleich zu dieser Wohnung, wie düster das Häuschen, in dem die wirre Tilly Burke wohnte, wie unheimlich der Druidenwald, in dem die Eiben ihre verschlungenen Arme nach ihr ausgestreckt hatten. Es war paradox, doch gerade London, das als schmutzig und neblig galt, erschien ihr verlockend hell. Hoffentlich würden sie lange hierbleiben.
    »Mein Gott, Ashdown, was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte Henry Sidgwick besorgt, als Daisy ihn ins Wohnzimmer führte. »Sie sehen gar nicht gut aus.«
    Tom erhob sich und gab ihm die Hand. »Ich bin der lebende Beweis dafür, dass die Untersuchung übernatürlicher Phänomene durchaus mit sehr natürlichen Gefahren verbunden sein kann«, entgegnete er lächelnd und bot seinem Besucher einen Sessel am Kamin an.
    »Na los, erzählen Sie, Ihr Telegramm hat mich neugierig gemacht«, drängte der Professor.
    »Einen Brandy bei diesem ungemütlichen Wetter?«, fragte Tom ungerührt und machte eine ablehnende Geste, als Sidgwick ihm mit Glas und Karaffe helfen wollte. »Es geht schon.«
    Sein Besucher nahm das Glas entgegen. »Nun setzen Sie sich doch, es macht mich ganz nervös, wenn Sie mit dem Arm in der Schlinge umherlaufen.«
    Tom ließ sich lachend in den Sessel sinken und schaute ihn mit funkelnden Augen an. »Ich danke Ihnen, Henry. Sie haben mir zu einem echten Abenteuer verholfen.«
    »Hm, so abenteuerlich hörte sich die Geschichte anfangs gar nicht an. Bitte erzählen Sie.«
    Tom trank einen großen Schluck und begann mit seinem Bericht. Während er sprach, wurden Sidgwicks Augen größer, und er beugte sich immer weiter vor, als wollte er sich nicht die kleinste Nuance des Vortrags entgehen lassen. Irgendwann stand Tom wieder auf und ging auf und ab, wobei er seine Worte mit dem gesunden Arm unterstrich. Schließlich lehnte er sich gegen den Kaminsims und schaute Sidgwick erwartungsvoll an.
    »Was halten Sie davon?«
    »Das ist unglaublich.«
    »Ich muss wohl nicht betonen, dass diese Geschichte absolut vertraulich zu behandeln ist. Niemand außerhalb unseres Kreises darf davon erfahren, das bin ich Sir Andrew, vor allem aber dem Mädchen schuldig.«
    »Gewiss. Aber …«
    »Ich habe den Fall nicht abgeschlossen, wollen Sie sagen?«
    »Nun, wir sind nicht die Polizei, Tom, aber ich gebe zu, meine Gedanken gingen in diese Richtung. Hat sich Sir Andrew dazu geäußert, ob er die Untersuchung fortsetzen möchte?«
    Tom zuckte mit der gesunden Schulter. »Vermutlich möchte er abwarten, wie sich Emilys Zustand in London entwickelt. Vielleicht glaubt er noch immer an einen Fall von Schlafwan deln, der sich in einer neuen Umgebung, die nicht an die tragischen Ereignisse erinnert, von selbst erledigt. Er scheint ein Mann zu sein, der Schwierigkeiten lieber verdrängt, als ihnen ins Gesicht zu sehen.«
    »Aber Sie glauben nicht an diese einfache Lösung?«, fragte Sidgwick sofort.
    »Nein.« Tom setzte sich und tippte mit dem Daumennagel gegen die Zähne. »Bedenken Sie, was ich Ihnen soeben anvertraut habe. Ob Dr. Pearson mit seinen Vorwürfen recht hatte oder nicht – das Mädchen hat einen seelischen Schaden erlitten. Doch solange wir nur Theorien aufstellen und so wenig wissen, können wir nichts unternehmen.«
    »Und wie lauten Ihre Theorien?«
    »Nun, es gibt im Grunde nur zwei Erklärungen: Entweder

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