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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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vorsichtig ab, warf sie in einen Sessel und bewegte behutsam den Arm. Besser. Dann ging er auf und ab, eine Zigarette in der Hand, blieb dann und wann stehen, sah aus dem Fenster. Ihm fehlte etwas. War es die Spannung der vergangenen Tage, das Gefühl, auf der Jagd zu sein und sich der Beute allmählich zu nähern? Welch theatralischer Vergleich! Und doch –
    Sein Blick wanderte noch einmal in Lucys Ecke, die nach wie vor dunkel und verlassen wirkte. Doch als er hinschaute, hörte er im Geist auf einmal Sidgwicks Stimme – So wie die Gouvernante?  – und erinnerte sich an den verbalen Schlagabtausch. Ein Lächeln trat auf seine Lippen.

32
    Die ersten Nächte verliefen ohne Zwischenfall. Am Donnerstagmorgen nahm Sir Andrew mit Charlotte zeitig das Frühstück ein, während Emily noch schlief.
    »Sie werden heute mit dem Unterricht beginnen, damit Emilys Leben wieder in feste Bahnen gelenkt wird. Die Unruhe der letzten Zeit hat ihr nicht gutgetan.«
    Charlotte sah ihn über ihre Teetasse hinweg an. »Selbstverständlich. Und ich würde heute Nachmittag gern wieder mit ihr spazieren gehen, wie wir es in den vergangenen Tagen auch gehalten haben. Die frische Luft scheint ihr gutzutun.«
    »Es spricht nichts dagegen, wenn sie vorher fleißig gearbeitet hat«, erwiderte er.
    Charlotte wurde von einer inneren Unruhe gequält. Da Emily die vergangenen Nächte durchgeschlafen hatte, schien sich Sir Andrew in seiner Hoffnung bestätigt zu sehen, dass eine Bahnreise von zwanzig oder dreißig Meilen ihr Leben wieder ins Lot gebracht hatte. Sie war einerseits erleichtert, konnte aber nicht vergessen, was in Chalk Hill geschehen war und was sie von Nora erfahren hatte. Sie dachte oft an Mr. Ashdown und fragte sich, wann er Emily besuchen würde. Oder hatte Sir Andrew ihm etwa mitgeteilt, dass man seiner nicht mehr bedürfe, weil es Emily wieder gut ging?
    Der Gedanke machte ihr Angst.
    Nachdem Sir Andrew das Haus verlassen hatte, weckte Charlotte Emily und erzählte ihr, dass sich Mrs. Clare nach einer Puppenklinik umgehört und tatsächlich von einer derartigen Werkstatt in Chelsea erfahren habe.
    »Eine sehr geschickte Dame, sie soll das ganz wunderbar machen«, hatte die Haushälterin berichtet. »Ich kann gern das Mädchen mit der Puppe hinschicken, Miss.«
    Emily sprang aus dem Bett, als sie die gute Nachricht hörte. »Können wir nicht zusammen dort hinfahren, Fräulein Pauly? Dann kann ich mir selbst einen Kopf aussuchen. Ich … Ich möchte doch, dass Pamela so aussieht wie immer.«
    Charlotte überlegte. »Ich mache dir einen Vorschlag. Wenn du heute und morgen fleißig lernst, werden wir morgen Nachmittag hinfahren. Heute möchte ich mit dir spazieren gehen.«
    Emily legte nachdenklich den Kopf auf die Seite und nickte dann. »Gut. Ich ziehe mich schnell an, und dann beginnen wir mit dem Unterricht.«
    Charlotte ließ sie allein. Es konnte nicht schaden, wenn sich Emily daran gewöhnte, sich ohne die Hilfe eines Kindermädchens anzukleiden. Sie ging in ihr Wohnzimmer, richtete einen Arbeitsplatz für Emily ein und legte ihre Unterlagen auf einen Beistelltisch. Der Raum war knapp bemessen, aber es würde gehen. Noch immer hatte sie das paradoxe Empfinden, in dieser Wohnung mitten in der Großstadt freier atmen zu können als in den grünen Wäldern von Surrey.
    Sie holte den Globus, den Sir Andrew ihr zur Verfügung gestellt hatte, und begann, ihre Bücher in ein kleines Regal zu räumen. Dabei flatterte ein Blatt Papier zu Boden. Sie hatte völlig vergessen, dass sie Friedrichs Brief in ein Buch gelegt hatte. Charlotte zögerte für einen Augenblick, zerknüllte ihn dann und warf ihn in den Papierkorb, wobei sie konstatierte, dass sie seit einer Ewigkeit nicht an ihn gedacht hatte. Gut so.
    Dann tauchte Emily strahlend in der Tür auf. Sie hatte sich selbst die Haare geflochten, was ihr recht gut gelungen war. »Fertig!«
    »Das sieht sehr gut aus, Emily. Du bist wirklich ein großes Mädchen.«
    Emily trat ins Zimmer und schaute sich um. »Hier ist es gemütlich. Fangen wir an?«
    Mrs. Clare war tatsächlich weitaus gesprächiger als Mrs. Evans, und das machte sich Charlotte zunutze. Als sie Emily nach dem Mittagessen eine Aufgabe zum Abschreiben gegeben hatte, kam sie mit der Haushälterin ins Gespräch.
    »Emily ist ein reizendes Kind«, sagte Mrs. Clare. »Schade, dass ich sie erst so spät kennengelernt habe. Der arme Sir Andrew war immer in Sorge wegen ihrer Gesundheit.«
    »Hat er oft über Emily

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