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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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seine Stadtwohnung befand. Große, elegante weiße Häuser, deren Eingänge von Säulen flankiert wurden, säumten baumbestandene Plätze. Im Sommer musste der Gegensatz zwischen dem blendenden Weiß und dem grünen Laub wunderbar sein.
    »Das ist aber prächtig, Papa!«, rief Emily. »Wohnen hier lauter Herzöge und Grafen?«
    »Nein, nein«, sagte er kopfschüttelnd, »nicht nur.«
    »Aber auch?«
    »Das schon, Emily.«
    Der Chester Square war schmal und lang gestreckt, in der Mitte befand sich eine von einem schmiedeeisernen Gitter umgebene Grünfläche. An einem Ende des Platzes stand eine hübsche Kirche aus hellem Stein mit einem spitzen Turm.
    »Das ist wunderschön.«
    Sir Andrew schaute Charlotte lächelnd an. »Ja, das ist es. Eine Oase mitten in der Stadt. Nicht ganz so prachtvoll wie Eaton oder Belgrave Square, aber deutlich ruhiger und angenehmer.«
    Ein leiser Stolz schwang in seinen Worten mit, und Charlotte fragte sich, ob er sein ungebundenes Dasein hier genossen oder seine Frau herbeigewünscht hatte. Auf einmal wurde ihr bewusst, wie fremd er ihr geblieben war, während sie mit Mr. Ashdown schon nach wenigen Stunden einen vertrauten Umgang gepflegt hatte. Sir Andrew war ein Mann, der sich hinter Mauern verbarg, Mauern des Schweigens und der Höflichkeit.
    Der Wagen hielt an, und der Kutscher half ihr beim Aussteigen. Das Haus, in dem Sir Andrew die erste Etage bewohnte, war cremeweiß gestrichen. Neben dem Eingang führten einige Stufen, die von einem glänzend schwarzen Geländer flankiert wurden, in ein Souterrain, wo Töpfe mit herbstlichem Heidekraut auf der Fensterbank standen.
    »Dort wohnt Mrs. Clare. Sie besorgt mir den Haushalt, wenn ich in der Stadt bin. Außerdem kommen ein Mädchen und eine Zugehfrau«, erklärte er und klingelte. Der Kutscher schleppte derweil die Koffer herbei, da Sir Andrew ihn großzügig entlohnt hatte, damit er ihnen das Gepäck bis in den ersten Stock hinauftrug.
    Mrs. Clare war eine kräftige Frau in den Fünfzigern, deren Gesicht gerötet war, als verbrächte sie viel Zeit an der frischen Luft. Überhaupt erinnerte sie mehr an eine Bauersfrau als an eine Stadtbewohnerin, die anderen Leuten den Haushalt besorgte.
    »Herzlich willkommen, Sir Andrew. Und das ist Ihre reizende Tochter?«
    »Ja, Mrs. Clare. Das ist Emily, und dies ihre Gouvernante, Fräulein Pauly.«
    »Sehr erfreut, Miss. Sind Sie zum ersten Mal in London? Dann werden Sie sich wohl viele Dinge anschauen wollen. Es gibt keine Stadt wie diese auf der ganzen Welt.«
    Die Haushälterin schien gesprächig zu sein, das war sicher kein Nachteil. Um Konversation zu machen, fragte Charlotte höflich: »Sind Sie eine gebürtige Londonerin?«
    »Aber ja, Miss, und ich bin stolz darauf, nie weiter als zehn Meilen von meiner Stadt entfernt gewesen zu sein. Mein Eddie, Gott habe ihn selig, wollte immer mit mir nach Brighton fahren, aber ich habe gesagt …«
    Charlotte bemerkte den strengen Blick, mit dem Sir Andrew die Frau bedachte.
    »Verzeihung, Sir Andrew, ich rede zu viel. Hier entlang, bitte.«
    Sie schloss die Haustür auf und führte die Herrschaften die Treppe in den ersten Stock hinauf. Die Wände waren cremeweiß gestrichen, die Böden mit dunkelroten Teppichen ausgelegt, das honigbraune Treppengeländer glänzte wie ein Spiegel, und von der Decke hing ein Kronleuchter, dessen Kristallgehänge im Lampenschein glitzerten. Es duftete nach Zitrone und gutem Tabak.
    Emily schaute sich bewundernd um, während sie die Treppe hinaufgingen, und Charlotte musste denken, wie sehr sich dieses helle, freundliche Haus schon auf den ersten Blick von Chalk Hill unterschied, das von dem dichten, dunklen Wald und dem üppigen wuchernden Garten eingeschlossen wurde. Wäre Lady Ellen hier glücklicher gewesen?, ging es ihr durch den Kopf. Dann fiel ihr ein, dass sie in Chalk Hill aufgewachsen und auf eigenen Wunsch dort geblieben war, nachdem sie Sir Andrew geheiratet hatte.
    Emily schien sich wohlzufühlen, und Charlotte hoffte, dass sie in diesem Haus, in dem nichts an ihre Mutter erinnerte, ihre Ruhe wiederfinden würde.
    Die Wohnung war großzügig und ebenso hell und elegant wie das übrige Haus. Zierliche Möbel, Polsterbezüge und Tape ten in hellen Beige- und Grüntönen, nichts, das schwer oder übertrieben männlich wirkte. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie eine weibliche Hand hinter der Einrichtung vermutet.
    Sir Andrew hatte sich schon in sein Zimmer begeben. Mrs. Clare führte Charlotte durch

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