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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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gewohnt.« Sie schüttelte den Kopf. »Eine traurige Geschichte. Nun muss die kleine Tochter ohne Mutter aufwachsen.«
    »Ein furchtbares Unglück.«
    »Sie war noch jung. Und eine gute Mutter, wie man sich erzählt. Viele elegante Damen kümmern sich nicht selbst um ihre Kinder, aber sie fuhr manchmal mit dem Mädchen im Wagen aus. Natürlich gab es Bedienstete, aber sie hat sich immer wieder einmal mit der Kleinen sehen lassen.«
    Endlich hatte Charlotte jemanden gefunden, der offen über Lady Ellen sprach. »Und Sie sagen, man habe die Leiche nie gefunden?«
    »Nein. Sie haben meilenweit flussabwärts gesucht, doch ohne Erfolg. Und der Mole mündet in die Themse. Bei Hampton Court.« Sie schaute versonnen vor sich hin. »Als junges Mädchen bin ich mit meinem Mann einmal dort gewesen. Ein prächtiges Schloss. Wie aus dem Märchen.« Sie schien sich einen Ruck zu geben. »Nun, wenn sie bis in die Themse gerissen wurde – der Fluss ist breit und tief und fließt ins Meer.« Sie seufzte und erhob sich dann mühsam.
    »Sie müssen verzeihen, aber ich gehe jetzt nach Hause. Für eine alte Frau wie mich ist das Wetter zu kühl. Es war mir eine Freude.« Sie nickte Charlotte zu und humpelte langsam in Richtung Friedhofstor.
    Zum Glück fand Charlotte am Bahnhof eine Mietdroschke, die sie nach Chalk Hill brachte. Sie ließ den Kutscher am Anfang der Crabtree Lane anhalten, da es ihr unangenehm war, auf diese Weise vorzufahren. Sie bezahlte und lief rasch auf das Haus zu, während die Kutsche wendete und davonrollte.
    Als Susan ihr öffnete, bat sie sie darum, ihr den Tee aufs Zimmer zu bringen; ein Abendessen würde sie nicht benötigen. Sie war so aufgeregt, dass sie fürchtete, man könne ihr ansehen, wie sie den Nachmittag verbracht hatte. Außerdem hatte sie eine Idee, die sie sofort in die Tat umsetzen wollte.
    In ihrem Zimmer suchte sie ein in festen Karton gebundenes Heft heraus und notierte darin alles, was sie von der alten Dame auf dem Friedhof erfahren hatte, dazu auch die Äußerungen von Mrs. Evans und das wenige, das sie von Emily, Nora und Sir Andrew über Lady Ellen gehört hatte. Auf diese Weise würde sie nach und nach ein Bild zusammenfügen, bis sie wusste, wer diese Frau gewesen war.
    Als sie ihren Bericht beendet hatte, schob sie das Heft unter die Matratze. Ein bisschen melodramatisch, doch sollte niemand von diesen Aufzeichnungen erfahren.
    Sir Andrew und seine Tochter kamen erst um neun Uhr nach Hause. Emily wirkte völlig erschöpft und wurde von Nora sofort ins Bett gebracht, wie Susan berichtete, als sie das Teetablett holte.
    Danach ging Charlotte unruhig in ihrem Zimmer auf und ab. Gewöhnlich schätzte sie die Stille im Turm, doch nach dem ereignisreichen Nachmittag fühlte sie sich zu erregt, um sich schon schlafen zu legen. Sie trat ans Fenster und schaute in die Dunkelheit, die den Wald hinter dem Haus umhüllte. Alles war schwarz, und doch spürte sie den Wald wie ein atmendes, lebendes Wesen hinter der Scheibe.
    Sie schloss die Augen und versuchte, dem Geist der Frau nachzuspüren, die einmal in diesem Zimmer gelebt hatte. Hatte sie etwas hinterlassen, waren Spuren ihrer Stimmungen und Gedanken zurückgeblieben? Sie war einmal ein junges Mädchen gewesen, das seinen Hoffnungen und Träumen nachgehangen, vielleicht Tagebuch geführt oder schwärmerische Briefe an Freundinnen verfasst hatte. War diese Frau, die Mutter eines reizenden Mädchens wie Emily, tatsächlich eines Nachts durch den Wald gegangen und hatte sich in den reißenden Fluss gestürzt? Und wenn ja, was hatte sie dazu getrieben?
    Dann kam ihr ein anderer Gedanke. Welche Rolle spielte Sir Andrew bei dem Ganzen? Hätte er nicht hören müssen, wie seine Frau mitten in der Nacht das Schlafzimmer verließ? War er vielleicht auf Reisen gewesen oder hatte zu tief geschlafen, um etwas zu bemerken? Oder war es in diesen Kreisen üblich, in getrennten Zimmern zu schlafen?
    Plötzlich vermeinte Charlotte, einen kühlen Hauch zu spü ren, der kaum merklich ihre Wange streifte. Sie erschauerte. Gewiss war der Fensterrahmen, an dem der Wind rüttelte, alt und undicht. Es gab immer eine sachliche Erklärung. Und doch war ihr unbehaglich zumute, wirkte das Zimmer auf einmal düsterer als sonst. Sie gab sich einen Ruck und kehrte an den Schreibtisch zurück, da ihr die Stimmung, die sie überkommen hatte, nicht gefiel.
    Es geht um Emily, mahnte sie sich. Diese Frau ist nur für mich von Interesse, weil sie Emilys Mutter war. Ich darf

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