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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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leichter. In der Mitte des Flusses blieb sie stehen und drehte sich im Kreis. Es war erregend, auf einem Stein zu stehen, um den von allen Seiten das Wasser strömte, und Charlotte ließ einen Moment lang den Rock fallen und streckte die Arme in die Luft, um das Gefühl der Freiheit auszukosten.
    Während sie den Fluss überquerte, dachte sie nicht einen Moment lang an Lady Ellen. Erst als sie das gegenüberliegende Ufer erreicht hatte, blickte sie nachdenklich zurück und erinnerte sich an die Worte der Haushälterin: »Sie hat in einer Nacht das Haus verlassen und ist zum Fluss gegangen.«
    Charlotte ging nachdenklich am Ufer entlang in Richtung Dorking, wobei ihr Blick immer wieder zum Wasser wanderte. Mrs. Evans’ Worte hatten ihren Argwohn geweckt. Ohne diesen Satz hätte sie an einen bedauerlichen Unglücksfall geglaubt, ein Missgeschick beim Spaziergang, einen Augenblick des Leichtsinns. So aber blieb kaum ein Zweifel daran, dass Lady Ellens Tod kein tragischer Unglücksfall gewesen war.
    Charlotte musste sich eingestehen, dass es ihr nicht länger nur um Emilys Seelenfrieden ging, obwohl sie das Mädchen lieb gewonnen hatte. Sie wollte um jeden Preis erfahren, was in jener Frühlingsnacht in Chalk Hill geschehen war und Lady Ellen an den Mole getrieben hatte.
    Ein Mann im Tweedmantel, der von zwei Jagdhunden begleitet wurde, kam ihr entgegen und hob grüßend den Hut.
    »Verzeihung, ist dies der schnellste Weg nach Dorking?«, fragte sie ihn höflich.
    »Jawohl, Miss. Bisschen rau für einen Spaziergang, aber wenigstens trocken«, fügte er mit einem Blick zum Himmel hinzu. Dann deutete er mit seinem Stock über die Wiesen, die den Fluss säumten. »Immer da entlang. Wünsche einen angenehmen Tag.« Mit diesen Worten pfiff er nach seinen Hunden und stapfte weiter.
    Links von ihr zogen sich die noch grünen Hänge von Box Hill empor, vor ihr tauchten schon die ersten Dächer und Schornsteine von Dorking auf. Charlotte genoss es, in der freien Natur zu sein, unbeobachtet und ohne den Zwang, sich mit jemandem zu unterhalten oder Rücksicht nehmen zu müssen. Sosehr ihr die Arbeit als Hauslehrerin gefiel, wünschte sie sich manchmal eine kleine Wohnung oder ein Haus, in dem sie ganz für sich sein konnte.
    Im Ort angekommen, erkundigte sie sich nach dem Friedhof, der, von Hecken umgeben, an der Straße nach Reigate lag. Eine kleine Kapelle aus grauem Stein, ein weites Gelände mit grünem, samtigem Rasen, aus dem die Grabsteine wie schiefe Zähne wuchsen. Ganz anders als in Berlin, wo kiesbestreute, gezirkelte Wege die Gräberreihen voneinander trennten und so in kleinerem Maßstab das Muster der Großstadtstraßen widerspiegelten. Hier schienen die Toten in der Natur aufzugehen und mit ihr zu verschmelzen. Der Friedhof lag auf einer Anhöhe und bot einen wunderbaren Blick auf die Wiesen und Wälder von Box Hill.
    Charlotte ging von einem Grab zum nächsten, hielt Ausschau nach einem Stein, der neu aussah und nicht von Flechten und Moos überzogen war. Ein kühler Wind kam auf, der sie frösteln ließ. Charlotte blickte auf ihre Taschenuhr. Halb vier, bald würde die Sonne untergehen.
    Als sie an einem Grab stehen blieb, um sich den Stiefel zu schnüren, erklang hinter ihr eine Stimme. Sie zuckte zusammen, richtete sich auf und drehte sich um.
    Eine kleine ältere Dame in dunkler Kleidung stützte sich auf einen Gehstock mit silbernem Knauf. Sie lächelte freundlich. »Verzeihen Sie, aber ich habe Sie schon einige Zeit beobachtet. Suchen Sie ein bestimmtes Grab?«
    Charlotte überlegte rasch und nickte dann. »Kennen Sie sich hier aus?«
    »Ich habe vier Geschwister, zwei Kinder und meinen Mann hier begraben. Dieser Friedhof ist mein zweites Zuhause. Wenn ich herkomme, fühle ich mich ihnen nahe. Darf ich fragen, welches Grab Sie suchen?«
    Charlotte zögerte nicht lange. »Das von Lady Ellen Clayworth.«
    Der Gesichtsausdruck der alten Dame veränderte sich abrupt. Sie schaute Charlotte verwundert an, und diese fragte sich beklommen, ob sie einen Fehler begangen hatte.
    »Sie sind wohl fremd hier, meine Liebe«, meinte die alte Dame lächelnd.
    »Das stimmt. Ich wohne noch nicht lange in der Gegend.«
    »Ach so, deshalb. Eigentlich kennt nämlich jeder hier die traurige Geschichte von Lady Ellen Clayworth.«
    »Ich habe gehört, dass sie im Frühjahr ertrunken ist. Ich wollte einen Blick auf ihr Grab werfen – aus persönlichem Interesse«, setzte Charlotte hinzu.
    »Sie sind schon ganz in der Nähe«,

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