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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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befeuchtete mit der Zunge die Fingerspitze, tippte es an und leckte. Leicht süßlich, aber kein Zucker. Sie verschloss das Glas wieder und stellte es nachdenklich auf den Boden.
    Sie schob die Finger noch einmal in die Öffnung und tastete darin herum, fand aber nichts. Ein wenig enttäuscht griff sie nach dem Glas, wog es in der Hand und legte es dann zurück in das Versteck.
    Wie praktisch wäre es doch gewesen, wenn sich geheime Aufzeichnungen unter der Diele befunden hätten! Ein Tagebuch oder Briefe, die ihr etwas über die Frau verraten hätten, die in diesem Haus ihre Jugend verlebt hatte und als Ehefrau von Andrew Clayworth unglücklich geworden war …

20
    Oktober 1890, London
    »Ein exzellentes Restaurant«, sagte John Hoskins und schaute sich bewundernd im Savoy Grill um. Die hölzerne, von eckigen Säulen getragene Kassettendecke, die verspiegelten Wände und runden Tische mit bequem gepolsterten Stühlen und strahlend weißen Tischtüchern verliehen dem Raum eine elegante und doch behagliche Atmosphäre. Seit der Eröffnung vor zwei Jahren hatte das Hotel mitsamt seinen Restaurants schnell Furore gemacht. »Wenn auch nicht für jeden Tag.« Er warf einen Blick auf die Karte mit den kostspieligen Gerichten, die sie soeben bestellt hatten.
    Tom Ashdown nickte. »Aber genau richtig, um einen erfreulichen Theaterabend mit guten Freunden abzurunden.«
    Sarah lächelte. »Eigentlich mag ich keine Opern, aber La Basoche hat mir gut gefallen. Es war amüsant, und das war mir am wichtigsten. Es gefällt mir nicht, wenn am Ende alle Leute sterben.«
    »Dieser Bispham als Herzog war nicht übel, wenngleich ich mir kein musikalisches Urteil anmaße«, erwiderte Tom. »Die Oper ist einfach nicht mein Fachgebiet. Sobald Leute auf der Bühne den Mund aufmachen und singen, fühle ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen.« Er warf Emma Sinclair, Sarahs Schwester, einen Blick zu, worauf diese schüchtern lächelte.
    »Es heißt, nächstes Jahr soll er an der Royal Opera in den Meistersingern auftreten«, warf John ein, der sich auf den Opernbühnen der Hauptstadt bestens auskannte und ein großer Wagner-Liebhaber war. »Aber erzähl uns doch mal, was im Theater angesagt und uns deshalb heute Abend entgangen ist.«
    Tom lachte. »Ich hätte euch gern ins Royalty geführt.«
    Emma Sinclair schaute ihn überrascht an. »Von diesem Theater habe ich noch nie gehört.«
    »Es ist ziemlich klein und hat eine wechselvolle Geschichte. Seit Kurzem spielt dort eine Theatergruppe teils skandalöse Stücke, agiert aber als privater Club und kann so die Zensur umgehen. Im März habe ich Gespenster gesehen, ein skandinavisches Stück …«
    »Sag, dass das nicht wahr ist!«, rief Sarah entsetzt.
    »Was ist so schlimm daran?«, wollte ihre Schwester wissen. »Das klingt doch interessant.«
    Tom hüstelte. »Nun, es war nur eine einzige Aufführung, nach der die Leute Sturm gelaufen sind. Wahnsinn, Ehebruch, illegitime Kinder, Heuchelei, Selbsttötung – nichts wird ausgelassen. Diesen Ibsen werde ich mir merken. Ich fand es durchaus fesselnd, wobei … Verzeihung.«
    Ein bärtiger Herr von kolossalen Ausmaßen, der ein Cape mit Pelzkragen trug und von einer Schar junger Männer begleitet wurde, winkte ihm zu, worauf sich Tom erhob und ihn begrüßte. Der Mann, dessen lockiges graues Haar bis auf die Schultern fiel, drückte ihm überschwänglich die Hand und klopfte ihm auf die Schulter.
    »Wieder im Rennen, Ashdown? Freut mich. Geht schon mal vor, meine Lieben.«
    Die Frauen schauten dem Tross mit großen Augen nach, während John ein Grinsen unterdrücken musste.
    »Darf ich vorstellen, Allaric Greene, der bekannte Opernkritiker.«
    Der Neuankömmling verbeugte sich theatralisch. »Es ist mir ein Vergnügen. Ashdown, Sie waren auch in La Basoche ? Bispham ist hinreißend, dieses Timbre; ich prophezeie ihm eine große Karriere, auch wenn er ein Spätberufener ist.« Er schaute in die Runde. »Bitte merken Sie sich meine Worte. Am heutigen Abend habe ich, Allaric Greene, vorhergesagt, dass David Bispham ein großer Sänger werden wird. Wagner, nichts weniger wird er sich erobern.«
    »Daran muss er aber noch arbeiten«, warf John ein, worauf ihn Greene so drohend anfunkelte wie ein Gärtner die Blattlaus.
    »Sir, ich kenne Sie nicht und bin nicht auf Streitigkeiten aus, aber dieser Mann ist zu Großem bestimmt. Es heißt, er werde nächstes Jahr die Meistersinger geben.«
    Tom und John sahen einander grinsend an, und Greene hob

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