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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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würde das Mädchen enttäuscht sein.
    Charlotte war dankbar für das Geplauder, das sie von ihren Gedanken ablenkte. Doch als es im Raum still wurde, hörte sie wieder die raue Stimme von Tilly Burke, die von Wasser und Geistern faselte, ihren verrückten Fantasien nachhing und doch sicher die eine oder andere Wahrheit einflocht, die Charlotte keine Ruhe ließ.
    Sie sah zu Sir Andrew hinüber, der in ebendiesem Moment den Kopf von seinem Teller hob. Ihre Blicke begegneten sich. Und sie erkannte, dass auch er in Gedanken weit von diesem Tisch entfernt gewesen war.
    Charlotte trat ins Kinderzimmer und sah ein vertrautes Bild vor sich – Nora, die Emily die Haare bürstete. Das Kindermädchen drehte sich um und lächelte. »Ich bin gleich fertig.«
    »Nur keine Eile. Ich wollte Emily Gute Nacht sagen und dich bitten, gleich noch einmal ins Schulzimmer zu kommen.«
    »Ja, Miss.«
    Charlotte strich Emily über die Wange. »Schlaf gut. Du weißt, du bist nicht allein.«
    Emily biss sich auf die Lippen.
    »Ist noch etwas?«
    Nora hielt im Bürsten inne und schaute das Mädchen fragend an.
    »Ich … Ich soll mich entschuldigen, hat Papa gesagt. Weil ich weggelaufen bin. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen Mühe gemacht habe, Fräulein Pauly. Es wird nicht wieder vorkommen.«
    Charlotte musste schlucken, weil die Strenge des Vaters in den Worten mitschwang. Eine Entschuldigung hatte sie nicht erwartet, und sie ärgerte sich über sein mangelndes Urteilsvermögen.
    Sie kniete sich vor Emilys Stuhl und ergriff ihre Hände. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, auch wenn ich dir dafür danke. Es ist nicht schlimm, dass es einem schon mal nicht gut geht und man sich fürchtet.« Sie sah Emily eindringlich an. »Versprich mir, dass du zu mir oder Nora oder deinem Vater gehst, wenn die Angst wiederkommt.«
    Als Emily immer noch schwieg, legte Charlotte behutsam den Finger unter ihr Kinn und hob es an. »Versprochen?«
    »Ja«, kam die leise Antwort.
    »Gut.« Sie stand auf und strich ihren Rock glatt. Dann nickte sie Nora zu und verließ das Kinderzimmer.
    Nach etwa zehn Minuten klopfte es an die Tür des Schulzimmers, in dem Charlotte über einem deutschen Diktat saß, das Emily am Morgen geschrieben hatte. Es waren erste einfache Sätze, doch sie waren beinahe fehlerfrei und ließen eine Begabung für Fremdsprachen erkennen. Wenn man die innere Erregung bedachte, unter der das Mädchen litt, war es eine ausgezeichnete Leistung.
    »Komm herein.«
    Nora trat ein und schaute sie fragend an. Charlotte deutete auf einen Stuhl. Sie hatte lange überlegt, wie sie das Thema ansprechen sollte, doch war ihr kein diplomatischer Weg eingefallen.
    »Wie du dir vorstellen kannst, zerbrechen Sir Andrew und ich uns den Kopf darüber, was mit Emily nicht stimmt. Wir machen uns große Sorgen.«
    »Ich mir auch«, warf das Kindermädchen ein und nickte bekräftigend. »So wie in letzter Zeit habe ich sie noch nie erlebt, auch nicht damals, als sie immer krank war.«
    »Deshalb versuche ich herauszufinden, woher diese – Anfälle, oder Träume oder wie immer wir es nennen mögen, wohl stammen.«
    »Ja, Miss.«
    »Kennst du Tilly Burke?«
    Es war, als veränderte sich etwas in der Atmosphäre, wie es im Sommer vor einem großen Gewitter geschah. Charlotte hätte es nicht erklären können, doch es war beinahe greifbar.
    »Die verrückte Frau aus Mickleham?«
    »Genau die.«
    »Die kennt jeder in der Gegend. Sie ist nicht richtig im Kopf. Erzählt nur Unsinn. Der dürfen Sie nichts glauben, Miss.«
    »Wie ich hörte, hat sie Lady Ellen gut gekannt.«
    »Ja, sie war früher ihr Kindermädchen. Aber das war lange bevor ich ins Haus kam.«
    Charlotte spürte förmlich den inneren Widerstand, mit dem Nora ihren Fragen begegnete. War ihr die Frau unheimlich? Oder wusste sie etwas über Tilly?
    »In Dorking hörte ich, Lady Ellen habe sie gelegentlich besucht, nachdem sie geheiratet hatte und mit ihrer Familie in Chalk Hill lebte.«
    »Kann sein.«
    Sie baute Nora eine Brücke. »Natürlich ist es nicht verwerflich, ehemalige Dienstboten zu besuchen, sie vielleicht auch zu unterstützen, wenn sie in Not sind …«
    »Ich weiß nicht, ob sie ihr Geld gegeben hat.«
    Darauf will ich auch gar nicht hinaus, dachte Charlotte bei sich. Es interessierte sie nicht, ob Lady Ellen oder sonst jemand Tilly Burke Geld gegeben hatte; sie wollte nur wissen, ob ihr Gerede von dem Fluss und den Geistern irgendeinen wahren Kern besaß. Doch es war schwer, Nora

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