Der verbotene Fluss
Ada schaute zu ihrer Schwester hinüber, die hinter der Theke Tassen abtrocknete. »Ja, sie war ihr Kindermädchen und ist danach in der Familie geblieben. Als Lady Ellen geheiratet hat, wurden Tillys Dienste nicht mehr benötigt. Das hat sie tief getroffen. Sie hat keine Stelle mehr lange behalten und wurde zunehmend wunderlich.«
Charlotte aß nur zögernd von ihrem Kuchen. Eigentlich schmeckte er köstlich, doch die innere Erregung, die sie seit Tagen quälte, verdarb ihr den Appetit. »Tilly hat erzählt, Lady Ellen sei nach ihrer Heirat immer traurig gewesen.«
Sie sah den Schatten, der über Miss Adas Gesicht huschte und sofort wieder verschwand. »Sie redet Unsinn, Miss, ganz sicher. Sie sollten dem Gerede keinen Glauben schenken.«
Als ihre Schwester sie ungeduldig rief, zuckte sie entschuldigend mit den Schultern. »Wenn Sie verzeihen – ich muss wieder an die Arbeit.«
Charlotte, die sich allein am Tisch unwohl fühlte, schaute sich um, wobei ihr Blick auf einen kleinen Ständer mit Zeitungen fiel. Sie holte sich die Times und blätterte bis zum Feuilleton, wo ihr eine Literaturkritik ins Auge sprang, die mit ThAsh gezeichnet war. Das Kürzel kam ihr bekannt vor, und sie begann interessiert zu lesen.
Manchmal – zugegeben, es kommt selten vor – bieten die so zahlreichen Londoner Bühnen nichts, was die Tinte für einen Artikel lohnen würde. Gleichwohl erwartet man von mir, dass ich mit schöner Regelmäßigkeit eine Rezension abliefere, ähnlich wie Zeitungsjungen oder Bäckerboten regelmäßig ihre Sachen liefern. Was also tun? Mich an etwas erinnern, das ich ausnahmsweise nicht auf einer Bühne gesehen, sondern ganz privat und nur zum Vergnügen abends am Kamin gelesen habe.
Zwei Romane.
Nun mag es Schriftsteller geben, die ihren Ruhm nicht verdient haben und deren Werke man lieber der Vergessenheit überantworten möchte, statt immer neue Generationen von Lesern mit ihren Schriften gequält zu sehen. Doch kommt es ab und an auch vor, dass man auf ein unentdecktes Juwel stößt und sich fragt, wie dieser Diamant um ein Haar im Aschekasten verschwinden konnte.
Der Name Arthur Conan Doyle wird den meisten geschätzten Lesern dieser Zeitung nicht geläufig sein, doch möchte ich prophezeien, dass er bald in aller Munde ist. Nein, lassen Sie es mich anders formulieren: Der Name Sherlock Holmes wird bald in aller Munde sein – ebenso wie seine Londoner Adresse in der Baker Street 22 1 B (nach der ein begeisterter Leser übrigens vergeblich fahnden würde, da die tatsächlichen Hausnummern nur bis 100 reichen).
Der Schriftsteller Conan Doyle hat einen Detektiv erschaffen, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat – einen Mann mit geradezu übermenschlichen kriminologischen Fähigkeiten, der die Errungenschaften der modernen Wissenschaft mit seinem überragenden Verstand kombiniert, um rätselhafte Fälle aufzuklären, der zur Entspannung Violine spielt und in Zeiten der Untätigkeit seinen hungrigen Verstand mit siebenprozentigen Kokain-Injektionen tröstet. Erzählt wird das alles von seinem Freund, dem Arzt und Veteranen Dr. Watson, der gemeinsam mit ihm das fragliche Haus in der Baker Street bewohnt.
Rätselhaft sind jedoch nicht nur die Fälle, mit denen Holmes und Watson zu kämpfen haben, sondern auch die Tatsache, dass diese beiden Romane in der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt geblieben sind. Meine Begeisterung war so groß, dass ich wochenlang allen, die es hören wollten – und auch allen anderen – davon vorschwärmte und ihnen die Bücher wärmstens ans Herz legte. Bis jetzt aber hält sich ihr Erfolg in bescheidenen Grenzen, und ich befürchte, dass Mr. Conan Doyle uns nicht mehr mit den Erlebnissen seiner Helden erfreuen wird, wenn sich daran nichts ändert.
Daher erhebe ich heute und an dieser Stelle die Stimme und rufe meinen geschätzten Lesern zu: Heizen Sie den Kamin, stellen Sie Tee oder stärkere Getränke bereit, und genießen Sie dazu ein gutes Buch – ich empfehle Eine Studie in Scharlachrot oder Das Zeichen der Vier. Sie werden es nicht bereuen!
Charlotte lächelte beim Lesen vor sich hin. Natürlich, der Stil war unverkennbar. Erst kürzlich hatte sie laut über die witzige Rezension des schlechten Theaterstücks gelacht. Und nun die aufrichtige Begeisterung für einen Kriminalschriftsteller: Der Mann verstand es, seine Leser zu unterhalten. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie in den vergangenen Minuten ihre Umgebung völlig vergessen und überhaupt nicht
Weitere Kostenlose Bücher