Der verbotene Garten
der beste Grund seien die furchtbaren Schläge, die ihr der Vater angedroht hatte, sollte er sie jemals wiedersehen. Daraufhin hatte Rose versprochen, ihr, wie auch immer, beizustehen.
»Dieser Kerl ist nicht mein richtiger Vater«, sagte Mae bei meinem betroffenen Gesichtsausdruck. »Das ist bloà der, den meine Mutter geheiratet hat, als Papa im Krieg geblieben ist. Sie liebt er, mich hasst er. Ganz einfach.«
Einfach war nichts, sofern es um Liebe und Hiebe ging. Doch ich wollte Mae nicht drängen, über ihre Familie zu sprechen, aus Angst, sie könnte nach meiner fragen. AuÃerdem war ihre Vergangenheit nicht annähernd so aufregend wie die Tatsache, dass sie nun in einem erstklassigen Bordell auf der Houston Street ausgebildet wurde.
»Es gibt Huren, und es gibt Beinahe-Huren«, sagte Mae, als wir gemeinsam die Bowery entlanggingen. »Und nur eine wirklich gute Madame mit einem wirklich guten Bordell weiÃ, was man aus diesem feinen Unterschied machen kann.«
Sie steuerte die Vordertreppe eines sauberen, schlichten Hauses an und sagte: »Warte hier. Ich hole Miss Everett, damit sie dich kennenlernt.«
»In Ordnung«, erwiderte ich und setzte mich auf halber Treppe hin.
»Oh, und denk daran«, wandte sich Mae noch einmal um, »du bist fünfzehn â vierzehn, falls sie dir nicht glaubt.« Dann öffnete sie die Tür und verschwand im Haus.
Das facettierte Glas beschwor das Bild von Mrs. Wentworths Portal herauf, und obwohl mir Mae aufrichtig erschienen war, konnte ich die Furcht vor einer weiteren ausweglosen Lage nur schwer abschütteln. Dann fiel mir Eliza Adler ein, die ein so furchtbares Ende im Fluss gefunden hatte. Ich schob eine Hand in die Tasche und fühlte nach meinem Messer. Falls ich heute sterbe, dann wenigstens mit vollem Magen.
Mrs. Riordan hatte so oft von ihrer Kindheit geschwärmt. »Wir waren arm, doch wir wusstenâs nicht.« Aber sie hatte auch eine Familie und eine fürsorgliche Mutter gehabt, der die eigene Tochter nicht lästig gewesen war â sie hatte Liebe erfahren. Ich hasste mein Leben in Armut. Mama hatte nichts getan, um auch nur das kleinste Licht in unser Dasein zu bringen. Tagtäglich hatte sie irgendetwas für all diese fremden Frauen aus dem Nichts gezaubert, aber für mich ein wenig Glück zu ersinnen, das war ihr zu mühsam. Ich werde nicht wie du, Mama. Ich werde nicht einfach verschwinden.
Hinter der Tür erklangen Gelächter und die Stimmen von mindestens drei jungen Frauen. Obwohl ich nicht viel verstehen konnte, waren sie offenbar mit groÃem Vergnügen dabei, einander zu necken. »Aber es stimmt!«, rief eines der Mädchen in ein noch lauteres Gelächter hinein. Das klang nach Mae.
Bei unserem Austerntopf hatte sie mir schon einiges über Emma Everett, die Leiterin des Hauses, berichtet. Mae wusste angeblich von einigen Madames, die mich sicher gern in ihre Dienste nehmen würden, aber keine würde sich auch nur halb so gut um ihre Mädchen kümmern wie Miss Everett. »Den anderen Frauen geht es einzig ums Geld«, hatte Mae voller Abscheu gesagt. »Sie lassen zu, dass die Männer einen halben Block weit anstehen und ihre Mädchen aufzehren, damit sie noch mehr Geld einsacken können. Ein Mädchen zur Gefährtin eines Gentlemans heranzuziehen, und zu einer gut bezahlten obendrein, das ist Miss Everetts Metier. Sie wird dich mit Ruhe und Bedacht einweisen, dir beibringen, wie sich eine Dame in Gesellschaft benimmt und den Bedürfnissen eines Herrn am besten begegnet. Es wird keine Vereinbarung getroffen, ehe sie nicht das Gefühl hat, dass ein Mädchen bereit ist, und dann auch nur, wenn ein Mann den richtigen Preis zahlen will. Die Mädchen von Miss Everett führen ein freies und groÃzügiges Leben. Wir trinken, essen und schlafen wie königliche Mätressen und müssen uns um nichts und niemanden sorgen.«
Mir war wohl bewusst, dass sie ihre Worte vorsichtig gewählt und mir ein rosiges Bild hingemalt hatte, doch ich hatte geschwiegen und sie ausreden lassen, schon aus Dankbarkeit dafür, dass sie in mir nicht nur die traurige Gestalt im Lumpenkleid gesehen hatte.
Kurz nachdem das Lachen verhallt war, öffnete sich die Haustür, und eine Frau, zierlich und attraktiv, erschien auf der Schwelle über mir. Sie trug ein blaues Satinkleid, das tief ausgeschnitten war und eng um die Taille saÃ. Ihr Haar
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