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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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gehörte.
    Â»Mit ihr ist alles in Ordnung«, wies ihn Mae zurecht und zog einen Schmollmund. »Sie gehört zu mir.«
    Maes Reizen hatte er nichts entgegenzusetzen. Er lenkte sofort ein und wies uns den Weg zu den Tischen. »Na los, sucht euch einen Platz«, winkte er uns durch. »Ich werd euch nichts berechnen.«
    Es war ein schöner Tag, eine leichte Brise wehte, und die Sonne schien so warm, als gäbe der Sommer eine Zugabe. Eine Blasmusikkapelle posaunte ihr Humpta-ta-ta aus einem Zelt in einer Gartenecke, bei jedem Ton blähten sich die Wangen der Musiker auf. Ich ging neben Mae her und vergaß mein zerlumptes Kleid und die Miene des Austernmanns. Ein Blick von Mae, und das Leben schien perfekt.
    Als wir uns an das Ende eines langen Tisches setzten, fragte sie: »Wie alt bist du, Moth?«
    Â»Zwölf«, sagte ich und griff nach meiner Schüssel.
    Â»Ich hätte gedacht, vierzehn, fünfzehn vielleicht«, sagte sie. »Du wirkst viel älter.«
    Ich schlürfte eine Auster hinunter und krächzte: »Danke.«
    Â»Schläfst du immer auf dem Dach?«
    Â»Meistens.«
    Â»Dorthin kannst du aber nicht mehr gehen«, sagte sie. »Nicht nach diesem Vorfall.«
    Â»Nein, wohl kaum.«
    Ich schlief ohnehin nur schlecht. Meist kauerte ich wach in meinem Fass und horchte auf Stimmen oder Schritte, die mir zu nahe kamen. Ich hatte immer Angst, jemand würde dem Fass einen Schubs geben und mich über den Dachrand rollen oder zumindest versuchen, mich von meinem Platz zu verjagen. Und wenn es mir gelang, ein wenig zu schlafen, verfolgte mich Mrs. Wentworth in die Träume. Sie kreischte und schrie und wollte mich mit der Schnur erwürgen, an der ihr Fächer hing. Keuchend wurde ich in solchen Momenten wach und rief nach Mama.
    Â»Ich kenne jemanden, der dir helfen könnte, noch einmal von vorn zu beginnen«, sagte Mae und schob ihre Schüssel beiseite. »Sie würde dich einkleiden, dir eine Unterkunft bieten …«
    Der Schnitt ihres Kleids, die Qualität ihrer Stiefel, das gewinnende Lächeln, das sie dem Austernöffner geschenkt hatte, all das ließ nur einen Schluss zu.
    Â»Bist du eine Hure?«, fiel ich ihr wispernd ins Wort.
    Meine Frage, so unverblümt und ungeschickt sie war, brachte Mae nicht im Mindesten aus der Fassung. Sie zupfte an ihren Handschuhen und zog sie stramm, sah mir in die Augen und sagte: »Beinahe.«

Oktober 1871 • THE EVENING STAR
    GOTHAMS MÄDCHENPENSIONATE
    Z wischen New Yorks seriösen Lokalitäten verstecken sich zahlreiche Etablissements für das niedere, derbe Vergnügen. Heutzutage wissen selbst die vornehmsten und besonnensten Bürger um die Geißeln dieser Stadt. Spielhallen, Varietés, Spelunken für Rattenkämpfe und Bordelle – teure nicht minder wie billige – gedeihen in der Metropole prächtig.
    Doch nun macht sich ein Metier bei uns heimisch, das noch übler und verstörender als alles bisher Genannte ist. Schlimmer noch: Es verbirgt sich derart raffiniert vor unseren Blicken, dass man, selbst wenn man Ausschau danach hielte, es als solches nicht erkennen würde. Jene Art Etablissement ist unter Männern, die käufliche Liebe suchen, als »Mädchenpensionat« bekannt.
    Dort werden in den oberen Stockwerken Mädchen gehalten, die erst elf, zwölf oder dreizehn Jahre jung sind. Sie werden – oft von den eigenen Eltern verkauft oder von einem anderen Mädchen eingeführt, das seinerseits an dem Ort »angeleitet« wurde – von einer erfahrenen Leiterin »ausgebildet«. Sie werden gehegt und gepflegt und dann mit dem »Zertifikat« einer virgo intacta in ihren Untergang geschickt.
    Ein Mädchenpensionat nahe der Bowery
    Ein solcher Ort existiert auch in der Gegend von Bowery und Houston Street. Rein äußerlich wirkt er keineswegs so verkommen und teuflisch, wie man denken sollte. Es ist ein helles, freundliches Haus, mit Zimmern und Salons, elegant und komfortabel, charmant bohemehaft.
    Die Männer, die diesen Ort auf der Suche nach »frischen Mädchen« frequentieren, sind von überraschendem Gepräge. Häufig sind es hohe Herren, die glauben, ihr Appetit auf Jungfrauen stünde in keinerlei Konflikt zu ihrem bedeutungsvollen Leben.
    Unter Gleichgesinnten sitzen sie in ihren Clubs und tauschen sich so freimütig über Adresse, Kategorie und Kaufpreis aus, als gäben sie einander

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