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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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war zu einem hübschen Chignon frisiert, sein langes Band hing anmutig hinter dem rechten Ohr. Ihre Spitzenhandschuhe, samt der Schleifchen an den Handgelenken, passten perfekt zu ihrem Aufzug.
    Â»Miss Fenwick?«, fragte sie.
    Â»Ja, Ma’am«, erwiderte ich und stand auf. Ich hätte mich gleich erheben sollen, sobald sich der Riegel bewegte.
    Nachdem sie mich einer Musterung von Kopf bis Fuß unterzogen hatte, sagte sie: »Sie dürfen mich gern Miss Everett nennen.«
    Â»Ja, Ma’am«, erwiderte ich mit einer linkischen Verbeugung und versuchte mich an einer angemessenen Grußformel: »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Miss Everett.«
    Um ihren Mund hatten sich verräterische Fältchen eingegraben, die von einem Alter jenseits von Brautkleidern und Babys sprachen und ihrem gepuderten, herzförmigen Gesicht einen Ausdruck ständigen Ernstes verliehen.
    Â»Kommen Sie, Miss Fenwick«, sagte sie und hielt mir die Tür auf.
    Im Innern war das Haus weit üppiger, als das Äußere vermuten ließ. Seine reiche Ausstattung erinnerte an Mrs. Wentworths Heim, doch hier war es viel freundlicher und komfortabler. Im Eingangsbereich lagen keine Fliesen, sondern Teppiche, so weich und dick, dass ich bei jedem Schritt einzusinken glaubte.
    Miss Everett führte mich in den vorderen Salon und bat mich, Platz zu nehmen. »Warten Sie hier, während ich ein paar Dinge arrangiere, dann unterhalten wir uns eingehender.«
    Ich nickte, doch bevor ich etwas erwidern konnte, hatte sie mir schon den Rücken zugewandt.
    Mae war ebenfalls im Salon, in Gesellschaft eines weiteren Mädchens. Die beiden saßen auf einer Couch mit pflaumenfarbenen Samtkissen. Auf allen Tischen dufteten frische Blumenbouquets, es roch nach Rosen. In einer Ecke stand ein Klavier, eine goldene Harfe in einer anderen, und an den Wänden hingen zahlreiche Gemälde. Auf einem Bild war eine Kohl-Rose zu sehen, die sich zur Sonne hin öffnete, auf einem anderen eine Flusslandschaft mit einer waldigen Schlucht. Über dem Klavier hing das Bildnis einer jungen Frau mit einem Obstkorb. Ihre Bluse war verrutscht und entblößte die Schulter, das Haar fiel ihr in weichen Locken um den Hals. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht wirkte so gelassen, als ob sie keinerlei Kummer kannte. Auf dem Messingschildchen am Rahmen stand: Die Früchte des Zigeunermädchens . Mein Blick schweifte über die quastenbehangenen Vorhänge, den großen Kandelaber, den Teewagen vor der Couch – und ich wollte alles davon.
    Auf dem Servierwagen warteten ein Silberservice und drei runde Tabletts voller verlockender winziger Törtchen. Es gab runde, eckige und sogar herzförmige – und alle waren sie mit Zuckerfäden und Zuckerblumen in Gelb und Blau und Rosa verziert.
    Â»Tee?«, bot mir Mae an und griff nach der Kanne.
    Â»Ja, bitte«, erwiderte ich in der Hoffnung, dass mich das von der bangen Frage ablenken würde, ob Miss Everett mich wohl in ihr Haus holen würde.
    Das Mädchen neben Mae musterte mich. Seine blauen Augen leuchteten so hell und unschuldig wie die eines Kindes, das noch über alles staunen kann. Sein Haar war das reinste Strohblond, sein Kleid sogar noch hübscher als Maes, in einem wunderschönen Rosa mit Herzausschnitt und Samtbesatz. Das Mädchen war wohlgestalt und schön, schien sich dessen aber nicht bewusst zu sein.
    Â»Darf ich vorstellen, Alice Creaghan«, sagte Mae und reichte mir eine dampfende Tasse Tee auf einer Untertasse.
    Â»Mae hat auch mich hierhergebracht, als ich nicht mehr wusste, wohin«, gestand das Mädchen. »Sie hat gesehen, wie ich um mein Leben rannte, und kam dann zu meiner Rettung.«
    Alice hatte den gleichen wahnsinnigen Eifer im Blick wie die Missionarinnen auf der Bowery, die von ihren Kisten aus die Passanten zu sich riefen, damit sie gerettet würden, mit den Fäusten an ihre Bibel schlugen und langatmige Passagen über Versuchung und Hölle vortrugen. »Als sie mich zu Miss Everett führte«, sagte Alice, »glaubte ich, ich wär im Himmel.«
    Mae nahm sich ein Törtchen. »Wer hätte gedacht, dass der Himmel ausgerechnet ein Bordell ist.« Dann biss sie mit ihren strahlend weißen Zähnen in ein Petit Four und zwinkerte mir zu.
    Ich griff ebenfalls nach einem Törtchen und schob es mir auf ein Mal in den Mund. Der dicke Zuckerguss legte sich klebrig auf die Zunge, zerschmolz dort

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