Der verbotene Garten
Fälle von Diphtherie, ein Kleinkind mit einem Katarrh. Habe präventiven Puder und Traktate über Geschlechtskrankheiten an die jungen Frauen in den Häusern Spring Street Nr. 111, Nr. 112 und Mercer Street Nr. 97 ausgeteilt.)
Im Haus East Houston Street Nr. 73 ist ein neues Mädchen eingetroffen.
»Moth« Fenwick, angeblich fünfzehn Jahre alt. Nachdem ich das Mädchen untersucht habe, würde ich sein Alter auf höchstens dreizehn schätzen, Körper und Gemüt sind noch recht kindlich.
Ich setzte Miss Everett davon in Kenntnis, aber sie entgegnete, das Kind sei fünfzehn und damit alt genug, für sich selbst zu entscheiden. »Mangelernährt«, insistierte sie, als ich auf die fehlende körperliche Reife des Mädchens hinwies. Um ihre Behauptung zu untermauern, erwähnte sie, dass sie das Mädchen mehrmals beim Betteln auf der Bowery gesehen habe. Hier stellt sich die Frage â hat Miss Everett es geködert?
»Sie kam aus freiem Willen her.«
Ich habe selbst meinen Teil zu den Lügen rings um dieses Kind beigetragen, als mich Miss Everett nach der innerlichen Untersuchung fragte. (Und sie hat gehört, was sie hören wollte.) Das Mädchen halte ich zwar für eine virgo intacta , doch zu meiner Diagnose kam ich, ohne es einmal zu berühren. Ich habe im Spital, in den Waisenhäusern, Asylen, Heimen und Bordellen genügend Mädchen gesehen, um zu erfassen, ob ein Kind von einem Mann genommen wurde oder nicht.
Sie ist zu jung. Sie hatte bisher keine Regelblutung. Sie hat keine Familie und kein Heim.
Ich mache in diesem Haus nun seit beinahe einem Jahr meine Visite, doch noch nie sah ich dort ein Mädchen von so zartem Alter. Was für sie spricht, sind ihre Klugheit und ihr Mut. Ich wünschte nur, sie würde zulassen, dass ich ihr andernorts ein Obdach suche.
Miss Everett hat mich natürlich umgehend daran erinnert, dass ich, verglichen mit ihr, dem Mädchen nun wirklich nichts bieten könne. »Ein Platz in einem Heim? Eine Stellung als Spülhilfe oder Laufmädel? Was ist das denn für ein Leben?«
Ein Leben, frei von der Gefahr durch Krankheit, frei von körperlicher Ausbeutung.
»Denken Sie an Katherine Tully!«, gab Miss Everett zurück.
Wie könnte ich nicht an Katherine Tully denken?
S. F.
XV
M iss Everett nahm mich auf. »Du wirst das schaffen«, sagte sie und legte mir eine Hand auf die Schulter, nachdem der Doktor mit mir fertig war. »Da bin ich sicher.«
Auf den ersten Blick war das Leben im Haus die reinste Idylle. Zarte rosa Blüten schmückten jedes Zimmer. Auf dem Marmortisch am FuÃe der Stufen drängten sich Weinflaschen und Schachteln mit Pralinen, auf den Kärtchen stand Miss Sutherland , Miss Mills , Miss Duval .
Selbst die Köchin, Mrs. Coyne, war so, wie sich ein Mädchen eine Köchin wünschte, freundlich und herzlich â das Gegenteil von Caroline. Sie empfing mich mit einer Schale Hühnerbrühe und einem herzhaften »Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss«, als ich kaum an ihrem Tisch saÃ. Die Brühe, aus den guten Stücken des Vogels und aus frischen Möhren und Erbsen, hielt zwar nicht den Vergleich mit Carolines Brühe stand, war aber immer noch weit besser als alles, was ich je zu Hause bekommen hatte. Nachdem ich aufgegessen hatte, neigte ich die Schüssel, damit auch die letzten Tropfen auf meinen Löffel liefen.
»Lass noch etwas für die Schale der Lumpensammlerin übrig«, tadelte Miss Everett, die ganz plötzlich hinter mir stand.
Klappernd fiel mir der Löffel aus der Hand. »Es tut mir leid, Maâam.«
Meine Ungeschicktheit war ihr ein Dorn im Auge. Gereizt nahm sie die Schüssel vom Tisch. »Manieren vor Appetit«, belehrte sie mich. »Anmut kennt keinen Hunger.«
An Mrs. Wentworths Küchentür hatte damals die bucklige Mrs. Tuesday geklopft, immer dienstags. Die Lumpenfrau hatte Reste und Flickenkleidung gegen Knöpfe und Fadenspulen getauscht. Sie hatte einen zweirädrigen Karren, der von einem Paar Sennenhunde gezogen wurde; sie trugen Halsbänder mit Glöckchen, die bei jedem Schritt läuteten. Wenn Mrs. Tuesday kam, legte Nestor die Knochen von Mrs. Wentworths Teller für die beiden Hunde zurück. Bei gutem Wetter tranken er und Mrs. Tuesday auf der Treppe zum Untergeschoss einen Tee. Zum Abschied sang ihm die Lumpenfrau stets ein Lied, ihre Stimme stieg bis
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