Der verbotene Kuss (German Edition)
Erkenntnis: »Marlene van Apen! Du bist doch nicht etwa hier untergekommen, bei meinem Vater?«
Lara nutzte die Gunst der Stunde und schlüpfte an der Wand entlang in den Kopierraum am Ende des Ganges. Schnell machte sie die Tür hinter sich zu und lehnte sich an das kühle Holz. Dann legte sie die Akten auf den ausgeschalteten Kopierer und dachte nach. Es sah so aus, als müsste sie sich einen neuen Job suchen. Das war wirklich sehr bedauerlich, denn sie liebte ihre Arbeit hier und mochte auch die Kollegen. Von Marlene vielleicht mal abgesehen. Aber der alte Meyerhoff, so garstig er auch sein konnte, war kein schlechter Chef. Er hatte sie eingestellt, obwohl sie überhaupt keine Ahnung von dem Beruf einer Bürokraft hatte. Damals, vor drei Jahren, als sie noch Krankenschwester war, lag er nach einer Bypass-Operation auf ihrer Station im Krankenhaus und Lara hatte ihm von ihrem Dilemma erzählt. Dass sie durch die ständig wechselnden Schichten inzwischen überhaupt keine Zeit mehr für ihre Mutter fände und auf der Suche nach einer anderen Arbeit sei. Daraufhin hatte er ihr die Stelle in seiner Firma angeboten. So war sie hier gelandet, und nach einer gewissen Einarbeitungszeit beherrschte sie den Job fast genauso gut wie jede andere, ausgebildete Sekretärin. Sie tippte inzwischen sogar ganz ordentlich – das hatte sie sich in einem Abendkurs angeeignet – und ihr Englisch war ebenfalls ausgezeichnet. Bisher schien Herr Meyerhoff auch sehr zufrieden mit ihr zu sein. Bisher. Sie seufzte tief. Sie hätte sich zu diesem Haushüten bei den Meyerhoffs niemals bereit erklären sollen. Es war immer besser, wenn eine gewisse Distanz zwischen Chef und Angestellten herrschte, aber jetzt wusste sie sogar, welche Unterwäsche er und seine Frau trugen und welche Seife sie verwendeten. Und außerdem hatte sie im Bett seines Sohnes geschlafen, ihn niedergeschlagen und von der Polizei verhaften lassen.
Bei diesem Gedanken stöhnte sie auf.
Es klopfte an der Tür. Lara stürzte zum Kopierer und schaltete ihn an, doch er funktionierte nicht sofort. Dieses verflixte Gerät musste erst warmlaufen. Als sich die Tür öffnete und im Rahmen die Gestalt von Marc Meyerhoff erschien, hätte Lara am liebsten das Fenster aufgerissen, um hinauszuspringen. Doch da das Büro im vierten Stock des Hauses lag, verwarf sie den Gedanken sofort wieder. Schließlich entsann sie sich, einmal irgendwo gelesen zu haben, dass Angriff die beste Verteidigung sei, und sah ihm keck in die Augen. »Was ist denn? Möchten Sie auch ein paar Kopien davon haben?« Sie zeigte auf den Stapel Akten.
Marc warf einen kurzen Blick auf die Papiere, doch dann lächelte er verschmitzt und nickte. »Ich weiß zwar nicht, was mein Vater in der Besprechung mit den Kopien seiner Röntgenbilder erreichen will, aber wenn das Teil einer neuen Werbekampagne ist, hätte ich auch gern welche.«
Entsetzt starrte Lara auf die oberste Akte und schluckte. Das war tatsächlich die Krankenakte von Franz Meyerhoff. Die hatte sie vergangene Woche rausgelegt, weil er vor dem Flug nach Amsterdam noch mit seinem Arzt Rücksprache halten wollte, und vergessen, sie wieder wegzuräumen. Sie suchte nach einer passenden Ausrede, doch ihr fiel keine ein.
»Die ist wohl aus Versehen mit drunter gerutscht. Ich meine die anderen.« Sie nahm die Akte vom Stapel, prüfte kurz den Titel auf der folgenden, und als da tatsächlich der Name des italienischen Getränkefabrikanten erschien, war sie äußerst erleichtert. »Sehen Sie?« Der Triumph in ihrer Stimme kam aus tiefstem Herzen.
Doch diese Unterlagen waren ihm offensichtlich gleichgültig. »Sie sind also Lara Richards, die rechte Hand meines Vaters, hat mir gerade Marlene erzählt. Ich wollte mich nur entschuldigen, dass ich vorhin so reingeplatzt bin. Sie schienen ziemlich geschockt, mich zu sehen.«
Er sah sie freundlich forschend an, in seinen Augen lagen Sympathie und Wohlwollen. Lara suchte erneut nach einer geeigneten Ausrede und schüttelte den Kopf. »Ich bin bei Fremden immer etwas misstrauisch. Das war nicht persönlich gemeint. Da könnte ja jeder plötzlich auftauchen und behaupten, er sei der Sohn vom Chef.« Sie lachte nervös.
Er lächelte. »Das gleiche schien heute Nacht schon jemand im Haus meiner Eltern gedacht zu haben. Und Sie sind sich ganz sicher, dass wir uns nicht kennen?«
Lara wurde extrem unbehaglich zumute. Glücklicherweise gab der Kopierer gerade ein kurzes Signal von sich: das Zeichen, dass er endlich warm gelaufen
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