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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Messer schnitt schlecht, es kam nur langsam voran, der Mann knurrte und fluchte. Und das war nicht das Knurren von Zerk. Es war das von Veyrenc, der rittlings auf ihm saß und sich mit den Klebebändern abmühte. Veyrenc versuchte ihn hier herauszuholen, Veyrenc war bei ihm in dieser Gruft in Kisilova. In Adamsbergs Kopf formte sich ein riesiger Kloß von Dankbarkeit für den Freund aus Kindertagen und den Feind von gestern, Veyrenc, der du in Grabesnacht mich hast getröstet , von Dankbarkeit und beinahe leidenschaftlicher Zuneigung. Veyrenc, der Verseschmied, der Stämmige mit den zarten Lippen, der Widersacher, der Einzigartige. Er versuchte die Lippen zu bewegen, seinen Namen auszusprechen.
    »Halt den Mund«, sagte Veyrenc.
    Der Béarner hatte es geschafft, der Panzer war geöffnet, er zog ohne alle Rücksicht daran, ihm dabei die Haare von der Brust und den Armen reißend.
    »Sprich nicht, mach kein Geräusch. Wenn es dir weh tut, umso besser, dann spürst du nämlich noch etwas. Aber schrei nicht. Fühlst du irgendeinen Teil deines Körpers?«
    Nichts, gab Adamsberg zu verstehen, indem er schwach den Kopf schüttelte.
    »Großer Gott, du kannst nicht mal mehr sprechen?«
    Nein, bedeutete Adamsberg auf die gleiche Weise.
    Veyrenc machte sich an den unteren Teil der Mumie, legte nach und nach die Beine und die Füße frei. Dann schleuderte er wütend das riesige Knäuel von verschlungenem Klebeband hinter sich und begann mit den flachen Händen heftig auf den Körper einzuschlagen, wie ein Schlagzeuger, der sich in eine frenetische Improvisation stürzt. Nach fünf Minuten machte er eine Pause, zog an seinen Armen, um sie zu entspannen. Unter seiner etwas rundlichen Statur, unter der sich seine Muskeln kaum abzeichneten, besaß Veyrenc die Kraft eines wilden Tieres, und Adamsberg hörte das Klatschen seiner Hände, ohne es wirklich zu spüren. Dann änderte Veyrenc die Technik, nahm sich die Arme vor, winkelte sie an, streckte sie, machte das Gleiche mit den Beinen, klatschte von neuem auf den ganzen Körper, massierte die Kopfhaut, machte sich wieder über die Füße her. Adamsberg bewegte seine fühllosen Lippen, ihm war, als könnte er beginnen, Wörter zu formen.
    Veyrenc machte sich Vorwürfe, dass er keinen Alkohol mitgenommen hatte, wie hätte er auch darauf kommen sollen? Ohne jede Hoffnung durchsuchte er Adamsbergs Hosentaschen, zog zwei Funktelefone heraus und ein paar verdammt nutzlose Bustickets. Er griff sich die Fetzen der Jacke, die auf dem Boden lagen, nahm sich eine Tasche nach der anderen vor, Schlüssel, Präservative, Ausweis, dann stießen seine Finger auf ein paar winzige Fläschchen. Adamsberg hatte drei kleine Flaschen Cognac bei sich.
    »Froi – ssy«, murmelte Adamsberg.
    Veyrenc schien nicht zu verstehen, denn er näherte das Ohr seinen Lippen.
    »Froi – ssy.«
    Veyrenc hatte Lieutenant Froissy nur kurz kennengelernt, aber er begriff die Botschaft. Wackere Froissy, großartige Frau, wunderbares Füllhorn. Er schraubte das erste Fläschchen auf, hob Adamsbergs Kopf an und ließ laufen.
    »Kannst du schlucken? Kriegst du’s runter?«
    »Ja.«
    Veyrenc leerte die Flasche gänzlich, schraubte die zweite auf und schob ihm den Flaschenhals zwischen die Zähne, er kam sich wie ein Chemiker vor, der eine Wundersubstanz in ein großes Behältnis schüttete. So leerte er die drei Flaschen und beobachtete Adamsberg.
    »Spürst du etwas?«
    »Drin – nen.«
    »Sehr gut.«
    Veyrenc suchte von neuem in seiner Tasche, holte seine große Haarbürste heraus – ein notwendiges Utensil, denn kein Kamm kam durch das dichte Haar des Bearners durch. Er schlug die Bürste in einen Fetzen von Adamsbergs Hemd ein und massierte ihm damit die Haut, wie man ein verdrecktes Pferd abreibt.
    »Tut dir das weh?«
    »Es – fängt – an.«
    Noch eine halbe Stunde lang walkte Veyrenc ihn mit Schlägen, bewegte seine Glieder, bürstete ihn ab und befragte ihn gleichzeitig, um zu erfahren, welcher Bereich »wiederkam«. Die Waden? Die Hände? Der Hals? Der Cognac erwärmte die Kehle, die Sprache kehrte zurück.
    »Jetzt werden wir versuchen, dich hinzustellen. Anders kriegen wir die Füße nie.«
    An einen Sarg gelehnt, richtete der kräftige Veyrenc ihn mühelos auf und stellte ihn auf seine Füße.
    »Nein, ich füh – le – den – Boden – nicht.«
    »Bleib stehen, lass das Blut nach unten sacken.«
    »Ich – glaube, das – sind – nicht – meine – Füße, ich glaube, das sind – zwei – Pferde –

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