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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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einst getröstet.* (* Dans la nuit du tombeau, Toi qui m’as consolé – Verszeile aus dem Gedicht El Desdichado von Gérard de Nerval.)
    Er hatte das Ende des Verses gefunden. Er atmete in kurzen Zügen, sie fielen ihm schon schwerer als vorhin. Er würde noch schneller ersticken, als gedacht, Zerk verstand sein Handwerk.
    Wann, vorhin? Es musste eine Stunde her sein, dass Zerk den Friedhof verlassen hatte. Er hörte die Kirchenglocke nicht, nach der er sich hätte orientieren können. Zu weit vom Dorf entfernt. Und konnte auch seine eigenen Uhren nicht sehen, so dass sie ihm nicht mal die Pinkelzeiten von Lucio anzeigen konnten.
    In Grabesnacht hast du mich einst getröstet.
    Das Gedicht ging noch weiter, es kam noch so etwas wie die Seufzer der Heiligen und die Schreie der Fee . Ja, wie Vesna.
    Ein Atmen, ein anderes. Ihres.
    Arnold Paole. Er hatte den Namen des von Peter Plogojowitz besiegten Soldaten wieder. Und das würde er nie vergessen.

36
     
    Danica trat, ohne anzuklopfen, in Vladislavs Zimmer, schaltete seine Nachttischlampe an und rüttelte den jungen Mann wach.
    »Er ist immer noch nicht zurück. Es ist drei Uhr morgens.«
    Vlad hob den Kopf, ließ ihn auf das Kissen zurücksinken.
    »Er ist Bulle, Danica«, brummte er, ohne zu überlegen. »Er verhält sich nicht so wie andere Leute.«
    »Er ist Bulle?«, wiederholte Danica entsetzt. »Du hast gesagt, er wäre ein Freund von dir, der einen mentalen Schock erlitten hätte.«
    »Einen psychoemotionalen Schock. Bedaure, Danica, das ist mir so rausgerutscht. Aber er ist wirklich ein Bulle. Der einen psychoemotionalen Schock hinter sich hat.«
    Danica kreuzte die Arme vor der Brust, verwirrt, gekränkt, sich an die vergangene Nacht erinnernd, die sie in den Armen eines Polizisten verbracht hatte.
    »Was treibt er hier? Verdächtigt er jemanden aus Kiseljevo?«
    »Er sucht die Spur eines Franzosen.«
    »Wen?«
    »Pierre Vaudel.«
    »Und warum?«
    »Vielleicht hat jemand ihn hier gekannt, vor langer Zeit. Lass mich schlafen, Danica.«
    »Pierre Vaudel? Sagt mir nichts«, meinte Danica, an ihrem Daumennagel knabbernd. »Aber ich erinnere mich auch nicht an die Namen der Touristen. Man müsste im Hotelregister nachsehen. Wann war das? Vor dem Krieg?«
    »Lange davor, glaube ich. Danica, es ist drei Uhr morgens. Was suchst du eigentlich in meinem Zimmer?«
    »Das hab ich dir gesagt. Er ist nicht zurückgekommen.«
    »Und ich habe dir geantwortet.«
    »Das ist nicht normal.«
    »Nichts ist normal bei einem Bullen, das weißt du.«
    »Man kann hier nachts überhaupt nichts anstellen, selbst wenn einer Polizist ist. Und man sagt nicht ›Bulle‹, Vladislav, man sagt ›Polizist‹. Du bist kein sehr höflicher junger Mann geworden. Aber dein Dedo war es auch nicht.«
    »Lass meinen Dedo in Ruhe, Danica. Und poch nicht so auf die Anstandsregeln. Du gehst ja auch nicht gerade zimperlich damit um.«
    »Was willst du damit sagen?«
    Vlad gab sich einen Ruck und setzte sich auf.
    »Nichts. Du machst dir also ernsthaft Sorgen?«
    »Ja. War es gefährlich, was er hier zu tun hatte?«
    »Keine Ahnung, Danica, ich bin müde. Ich kenne die Geschichte nicht, sie ist mir scheißegal, ich bin hier nur der Dolmetscher. Es gab einen Mord in der Nähe von Paris, was ziemlich Grauenvolles. Und einen anderen zuvor in Österreich.«
    »Wo es Morde gibt«, sagte Danica und attackierte heftig ihren Daumennagel, »kann man sagen, dass es Gefahr gibt.«
    »Ich weiß, während der Zugfahrt dachte er, dass er verfolgt würde. Aber so sind doch irgendwie alle Bullen, nicht? Sie sehen die Leute mit anderen Augen als wir. Vielleicht ist er noch mal zu Arandjel zurückgekehrt. Mir schien, sie hatten sich eine Menge amüsanter Geschichten zu erzählen.«
    »Du bist ein Idiot, Vladislav. Wie soll er denn mit Arandjel reden? Mit den Händen? Er kann doch kein Wort Englisch.«
    »Woher weißt du das?«
    »So was spürt man«, erwiderte Danica verlegen.
    »Na gut«, meinte Vlad. »Und jetzt lass mich schlafen.«
    »Die Polizisten«, fuhr Danica fort, indem sie sich über beide Daumen hermachte, »der Mörder tötet sie, wenn sie der Wahrheit zu nahe kommen. So ist es doch, Vladislav?«
    »Wenn du meine Meinung wissen willst, er entfernt sich eher mit großen Schritten von ihr.«
    »Wieso?«, fragte Danica und ließ ihre von Speichel glänzenden Daumen los.
    »Wenn du immer weiter an deinen Nägeln herumkaust, wirst du eines Tages einen ganzen Finger aufessen. Und am nächsten Tag wirst du ihn

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