Der verbotene Ort
dein Magen ist durchlöchert.« Er legte den Gang ein und fuhr auf die Landstraße zurück.
»Es sind zwanzig Kilometer bis zum Krankenhaus von Châteaudun. Meinst du, dass du durchhältst?«
»Bring mich zum Reden. Es dreht sich mir vor Augen.«
»Schau geradeaus. Der Kerl, der auf dich geschossen hat, hast du irgendwas von ihm gesehen?«
»Nein. Die Schüsse kamen von hinter dem Wasserturm. Er hat auf mich gewartet, kein Zweifel. Vier Kugeln, habe ich dir gesagt, und nur zwei haben das Ziel getroffen. Das war kein Profi. Ich bin gestürzt und habe gehört, wie er auf mich zugerannt kam. Ich habe mich tot gestellt, er hat versucht, mir den Puls zu fühlen, um zu sehen, ob ich erledigt wäre. Er war in Panik, aber durchaus imstande, sicherheitshalber noch zwei weitere auf mich abzufeuern.«
»Leiser, Émile.«
»Ja. Doch dann hat ein Auto an der Wegkreuzung gehalten, da hat er’s mit der Angst gekriegt und ist abgehauen wie ein Hase. Ich habe eine Weile gewartet, ohne mich zu rühren, schließlich habe ich mich zum Hof geschleppt. Im Fall, ich kratze ab, wollte ich nicht, dass Cupido zehn Jahre lang auf mich wartet. Warten, das ist kein Leben. Ich weiß deinen Namen nicht.«
»Adamsberg.«
»Warten, Adamsberg, ist kein Leben. Hast du das schon mal erlebt, warten? Sehr lange warten?«
»Ich glaube, ja.«
»Auf eine Frau?«
»Ich glaube.«
»Also, das ist kein Leben.«
»Nein«, bestätigte Adamsberg.
Émile zuckte zusammen und lehnte sich gegen die Wagentür.
»Nur noch elf Kilometer«, sagte Adamsberg.
»Red weiter, aber ich kann nicht mehr.«
»Bleib bei mir. Ich stell dir Fragen, und du antwortest mit Ja oder mit Nein. Wie in dem Spiel.«
»Umgekehrt«, sagte Émile, sein Atem ging pfeifend. »In dem Spiel darf man gerade nicht Ja oder Nein sagen.«
»Du hast recht. Der Kerl hat auf dich gewartet, das steht fest. Hast du irgendjemandem gesagt, dass du zu dem Hof gehen würdest?«
»Nein.«
»Nur der alte Vaudel und ich kannten also den Ort?«
»Ja.«
»Aber Vaudel kann die Geschichte mit dem Hund jemandem erzählt haben. Seinem Sohn, zum Beispiel.«
»Ja.«
»Es nützt ihm nichts, wenn er dich umbringt, dein Erbteil fällt nicht an ihn, wenn du stirbst. So steht es im Testament.«
»Die reine Wut.«
»Auf dich? Klar. Und du, hast du ein Testament gemacht?«
»Nein.«
»Du hast niemanden, der dich beerbt? Keine Kinder, da bist du sicher?«
»Ja.«
»Hat der Alte dir vielleicht irgendetwas anvertraut? Ein Papier, Unterlagen, ein Bekenntnis, hat er dir eine Schuld gestanden?«
»Nein. Aber auch dir könnte jemand gefolgt sein«, stieß Émile mühsam hervor.
»Nur ein Mensch weiß davon«, sagte Adamsberg und schüttelte den Kopf. »Ein alter Spanier, der nur einen Arm und kein Auto hat. Und man hat vorher auf dich geschossen.«
»Ja.«
»Noch drei Kilometer. Es ist gut möglich, dass jemand dir vom Krankenhaus in Garches an gefolgt ist. Drei Polizeiautos im Umkreis, das war ein Hinweis darauf, dass du dort irgendwo warst. Du hattest dich im Krankenhaus versteckt?«
»Zwei Stunden lang.«
»Und wo?«
»In der Notaufnahme. Im Wartezimmer, mit allen andern.«
»Nicht schlecht. Hast du niemanden hinter dir gesehen, als du wieder gegangen bist?«
»Nein. Ein Motorrad vielleicht.«
Adamsberg hielt so nahe wie möglich am Eingang zur Notaufnahme, stieß die gelben Plastikflügel der Tür auf, fand einen übermüdeten Arzt, wies seinen Ausweis vor, um den Vorgang zu beschleunigen. Eine Viertelstunde später lag Émile auf einer Trage, mit einer Kanüle im Arm.
»Den Hund können wir nicht dabehalten, Monsieur«, sagte eine Krankenschwester und reichte ihm einen Beutel mit Émiles zusammengerollten Kleidungsstücken.
»Ich weiß«, sagte Adamsberg und nahm Cupido von Émiles Beinen herunter. »Hör zu, Émile: Du lässt keinen Besuch zu dir vor, keinen einzigen. Ich werde das auch dem Empfang sagen. Wo finde ich den Chirurgen?«
»Er ist im OP.«
»Dann sagen Sie ihm vor allem, er soll die Kugel aufbewahren, die noch im Bein steckt.«
»Eine Sekunde«, sagte Émile, während das Gefährt sich in Bewegung setzte. »Im Fall, ich kratze ab. Vaudel hat mich um was gebeten, wenn er sterben sollte.«
»Also doch.«
»Bloß irgendeine Liebesangelegenheit. Er sagte, die Frau wäre schon alt, würde sich aber trotzdem darüber freuen.
Er hat’s verschlüsselt, kein Vertrauen in mich. Ich sollte es nach seinem Tod abschicken. Hat er mich schwören lassen.«
»Wo ist dieses
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