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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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wiederkomme?«
    »Nein. Wann gehst du zu dem Hund?«
    »Na, sofort. Für den Fall, dass sie mich schnappen, muss ich dem Hund ja vorher Bescheid sagen. Während meine Mutter – die hat doch ihren Verstand, meine Mutter?«
    »So ist es.«
    »Sehr gut. Wenn ich dann in den Knast komme, werden die Bullen meine Mutter benachrichtigen. Während sie den Hund nicht benachrichtigen werden. Von wegen! Darauf kommt doch keiner von denen. Den Hund zu benachrichtigen ist also meine Angelegenheit. Und zwar so bald wie möglich.«
    Adamsberg strich mit den Fingern über den flaumigen Bauch von Charme, leerte sein Glas in das von Lucio, stand auf und rieb sich den Hosenboden sauber.
    »Hör mal, hombre «, sagte Lucio und hob seine große Hand. »Wenn du diesen Kerl allein sprechen willst, bevor er den Hund gesehen und bevor der Hund die Bullen gesehen hat, dann solltest du dich jetzt auf den Weg machen.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich das wollte.«
    »Nein, das hast du nicht gesagt.«
     
    Adamsberg fuhr langsam, wohl wissend, dass die Müdigkeit und der Wein seine Wahrnehmungsfähigkeit einschränkten. Sein Funktelefon und das GPS seines Wagens hatte er ausgeschaltet, für den Fall, dass es einen ebenso schlauen Bullen geben sollte wie Lucio, den es aber nicht gab, nicht mal in den Märchen und Sagen von Mordent. Er hatte überhaupt keinen genauen Plan, was diesen Rohling Émile anging. Nur insoweit, wie Lucio zusammenfassend gesagt hatte: in Châteaudun sein, bevor die Bullen bei dem Hund wären. Warum? Weil die Kotproben verschieden waren? Nein. Das wusste er noch nicht, als er Émile entkommen ließ – wenn er es denn getan hatte. Warum dann? Weil Mordent wie ein Büffel über seinen Weg gelaufen war? Nein, Mordent tickte nicht richtig, das war alles. Weil Émile ein guter Kerl war? Nein, Émile war kein guter Kerl. Weil Émile durch das blödsinnige Verhalten eines depressiven Polizisten in irgendeinem Gestrüpp vor Hunger zu krepieren drohte wie eine Ratte? Vielleicht. Und ihn wieder in den Knast zu bringen, war das besser als das Gestrüpp?
    Adamsberg war nicht sehr begabt für die Voluten, in die solche »vielleicht« einen hineinzogen, anders als Danglard, der sich daran berauschte, in den schwarzen Schlund der Antizipation hinabzuschauen, bis er das Gleichgewicht verlor. Adamsberg fuhr zu dem Bauernhof, das war alles, und er betete, kein Bulle möge am Morgen sein Gespräch mit Émile dem Brutalo, Émile dem Erben, Besitzer von Garches und Vaucresson, mit angehört haben. Während Danglard sich genau in diesem Augenblick, abgefüllt mit Champagner, in den Tunnel unterm Ärmelkanal stürzte, und das alles nur, weil er sich gefragt hatte, ob vielleicht ein Wahnsinniger seinem Onkel die Füße abgeschnitten hatte, möglicherweise auch einem Cousin seines Onkels, dort weit unten in den Bergen. Und während Mordent auf die Mauern des Gefängnisses von Fresnes starrte, großer Gott, was konnte man bloß für Mordent tun?
     
    Adamsberg parkte den Wagen auf einem Randstreifen, im Schatten des Waldes, und lief die letzten fünfhundert Meter zu Fuß. Langsam vorwärtsgehend, versuchte er sich zu orientieren. Das Gatter, über das der Hund sprang, doch welches Gatter? Er lief eine halbe Stunde um den Hof herum – drei Viertel Milch, ein Viertel Fleisch –, mit müden Beinen, bevor er sich für das wahrscheinlichste Gatter entschied. In der Ferne heulten andere Hunde, die sein Nahen witterten, er lehnte sich an einen Baum und rührte sich nicht mehr, kontrollierte seine Tasche und seine Waffe. In der Luft lag der Geruch von Kuhmist, was ihn, wie jedes menschliche Wesen, beruhigte. Nicht einschlafen, warten, hoffen, dass Lucio richtig vermutet hatte.
    Ein schwaches Stöhnen, ein leiser, unregelmäßiger Klagelaut drang im lauen Abendwind zu ihm, doch weiter weg als das Gatter, vielleicht fünfzig Meter entfernt. Ein kleines Tier, das sich verfangen hatte? Eine Ratte im Gesträuch? Ein Marder? Auf jeden Fall »nicht größer als so«. Adamsberg drückte sich mit dem Rücken noch fester an den Stamm, zog die Beine an, schaukelte sanft, um nicht einzuschlafen. Versuchte sich Émiles Weg von Garches bis hierher vorzustellen, zu Fuß und per Anhalter, mit Fernfahrern, die wenig auf das Aussehen eines Kerls achteten, wenn er nur zahlte. Heute Morgen trug Émile über seinem blauen Overall einen leichten, ziemlich speckigen Blouson, der an den Ärmelbündchen ausgefranst war. Er sah Émiles Hände vor sich, noch bevor sein Satz

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