Der verbotene Ort
Undenkbar.«
»Sehr wohl denkbar, seitdem seine Tochter sich in den Händen der Justiz befindet. Eine Mordaffäre lässt sich da oben problemlos niederschlagen. Mordent liefert ihnen den Anlass, Sie abzusägen, und seine Tochter ist frei. Vergessen Sie nicht, dass sie in zwei Wochen vor Gericht stehen wird.«
Adamsberg schnalzte mit der Zunge.
»Dazu hat er nicht das Profil.«
»Kein Mensch ist stark genug, wenn er sein Kind in Gefahr weiß. Man sieht, dass Sie keine Kinder haben.«
»Suchen Sie Streit, Danglard?«
»Ich meine, eins, um das man sich wirklich kümmert«, sagte Danglard trocken, womit er auf den schweren Konflikt anspielte, der zwischen ihnen stand. Danglard auf der einen Seite der Front, der Camille und ihr Kind gegen das – sehr freizügige – Leben von Adamsberg beschützte, Adamsberg auf der anderen, der, seinen Begierden folgend, im Dasein anderer säte, ohne sich, so fand der Com,andant, allzu sehr um die dadurch ausgelösten Erschütterungen zu scheren.
»Ich kümmere mich um Tom«, sagte Adamsberg und ballte die Faust. »Ich pass auf ihn auf, ich geh mit ihm spazieren, ich erzähle ihm Geschichten.«
»Wo ist er im Augenblick?«
»Das geht Sie nichts an, Sie nerven mich. Er ist mit seiner Mutter im Urlaub.«
»Gewiss, aber wo?«
Schweigen senkte sich auf die beiden Männer, den schmutzigen Tisch, die leeren Gläser, die zerknitterten Zeitungen, das Gesicht des Mörders. Adamsberg versuchte sich zu erinnern, wo Camille mit dem kleinen Tom hingefahren war. An die frische Luft natürlich. Ans Meer, da war er sich sicher. In die Normandie, irgend so was. Er rief alle drei Tage an, es ging ihnen gut.
»In der Normandie«, sagte Adamsberg.
»In der Bretagne«, konterte Danglard, »in Cancale.«
Wenn Adamsberg in diesem Augenblick Émile gewesen wäre, hätte er Danglard auf der Stelle den Schädel eingeschlagen. Er sah die Szene haargenau vor sich, und sie gefiel ihm. Er begnügte sich damit aufzustehen.
»Was Sie über Mordent denken, Commandant, ist mies.«
»Es ist nicht mies, seine Tochter retten zu wollen.«
»Ich habe gesagt: Was Sie denken, ist mies. Was in Ihrem Kopf vor sich geht, ist mies.«
»Klar ist es das.«
19
Lamarre fegte wie ein Windstoß in den Würfelbecher .
»Höchste Dringlichkeit, Kommissar. Wien verlangt Sie.«
Adamsberg sah Lamarre verständnislos an. Befangen in seiner Schüchternheit, konnte sich der Brigadier nie ganz locker äußern, und selbst in einen noch so kurzen Diskussionsbeitrag wagte er sich nicht ohne Notizzettel.
»Wer verlangt mich, Lamarre?«
»Wien. Thalberg. Endet wie Sie mit ›berg‹, wie der Komponist.«
»Sigismund Thalberg«, bestätigte Danglard, »österreichischer Komponist, 1812 bis 1871.«
»Er sei aber nicht der Komponist, hat er gesagt. Er sei Kommissar.«
»Ein Kommissar aus Wien?«, meinte Adamsberg. »Warum sagen Sie das nicht gleich, Lamarre?«
Adamsberg stand auf und folgte dem Brigadier über die Straße.
»Was will er, der Mann in Wien?«
»Habe ich nicht gefragt, Kommissar, er wollte Sie selbst sprechen. Sagen Sie mal«, fuhr Lamarre mit einem Blick zurück fort, »warum heißt das Café eigentlich Der Würfelbecher ? Ich habe dort noch nie einen Menschen würfeln sehen, und es ist auch kein Spieltisch da.«
»Und warum heißt die Brasserie des Philosophes so, wo doch noch nie ein Philosoph in ihr gesichtet wurde?«
»Das ist aber keine Antwort, es ist nur eine neue Frage.«
»So ist das oft, Brigadier.«
Kommissar Thalberg bat um eine Videoschaltung, und Adamsberg begab sich in den Technikraum, wo er sich ganz auf Froissy verließ, die sich darum kümmerte, dass die Geräte liefen. Justin, Estalère, Lamarre und Danglard drängten sich hinter seinem Stuhl. Vielleicht war es der Erwähnung des Musikers der Romantik geschuldet, denn es kam Adamsberg so vor, als habe der Mann, der auf dem Monitor erschien, seine Schönheit aus einem vergangenen Jahrhundert bezogen, ein feinsinniges, edles Gesicht, leicht angekränkelt, das, durch einen hochgestellten Hemdkragen noch stärker zur Geltung gebracht, von gelocktem blonden Haar vollendet umrahmt wurde.
»Sprechen Sie Deutsch, Kommissar Adamsberg?«, fragte der graziöse Wiener, während er sich eine lange Zigarette anzündete.
»Nein, tut mir leid. Aber Commandant Danglard wird übersetzen.«
»Sehr liebenswürdig von ihm, doch ich bin Ihrer Sprache mächtig. Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Kommissar, und vielleicht kann ich Ihnen sogar
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