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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Halbwüchsiger war darauf zu sehen, der an einer großen Platane lehnte.
    »Wer ist das?«, fragte Louvois.
    »Ich, oder auch mein Bruder. Und weiter?«
    »Du bist das. Schau auf die Rückseite.«
    Sein Name, J.-B. Adamsberg , stand da mit Bleistift in kleinen runden Buchstaben geschrieben.
    »Ich würde eher sagen, es ist mein Bruder Raphael. Ich erinnere mich nicht an dieses Hemd. Der Beweis, dass deine Mutter uns schlecht kannte und dass sie dir Märchen erzählt hat.«
    »Schnauze, du kennst meine Mutter nicht, sie erzählt keine Märchen. Wenn sie mir gesagt hat, dass du mein Vater bist, dann, weil es stimmt. Warum sollte sie so was erfinden? Es gab sicher keinen Grund, damit hausieren zu gehen.«
    »Das stimmt. Aber im Dorf galt ich immer noch mehr als Matt oder Loulou, die man die ›Taugenichtse‹, die ›Hunde‹ oder auch die ›Pisser‹ nannte. In warmen Nächten pissten sie aus dem offenen Fenster. Die Frau vom Lebensmittelladen – die wir nicht mochten – hat es einmal voll abgekriegt. Von Luciens Bande ganz zu schweigen. Mit anderen Worten, auch wenn sie sich nicht mit mir rühmen konnte, war es doch besser, meinen Namen als den von Matt, dem Pisser, anzugeben. Ich bin nicht dein Vater, ich habe nie eine Gisèle gekannt, weder in meinem Dorf noch in den umliegenden, und sie hat mir nie geschrieben. Das erste Mal, als ein Mädchen mir geschrieben hat, war ich dreiundzwanzig.«
    »Du lügst.«
    Der Typ presste die Zähne aufeinander, er schien zu wanken auf seinem Sockel aus Gewissheit, der unter ihm plötzlich zu bröckeln begann. Der Vater, den er sich ausgedacht hatte, sein ewiger Feind, seine Zielscheibe, er wollte ihm zwischen den Fingern zerrinnen.
    »Ob ich nun lüge oder deine Mutter lügt, Zerketch, was wird mit uns? Trinken wir hier Kaffee bis ans Ende unserer Tage?«
    »Wie es ausgehen würde, habe ich immer gewusst. Du lässt mich ziehen, frei wie ein Vogel. Du aber bleibst hier bei deinen blöden Katzen und wirst überhaupt nichts tun können. Du wirst meinen Namen in den Zeitungen lesen, verlass dich drauf. Es wird was passieren. Und du sitzt in deinem verdammten Büro und bist erledigt. Du wirst abtreten, weil nicht mal ein Bulle seinen Sohn lebenslänglich hinter Gitter bringt. Wo ein Kind im Spiel ist, gibt es kein Gesetz, keine Regeln mehr. Und du wirst keine Lust haben, den Leuten zu erzählen, dass du der Vater von Zerketch bist, stimmt’s? Und dass es deine Schuld ist, wenn Zerketch ausgerastet ist. Weil du ihn im Stich gelassen hast.«
    »Ich habe dich nicht im Stich gelassen, ich habe dich noch nicht mal gezeugt.«
    »Aber sicher bist du nicht, was? Hast du mal deine Visage gesehen? Und hast du meine gesehen?«
    »Béarner Visagen, weiter nichts. Aber es gibt ein absolut untrügliches Mittel, das herauszufinden, Zerketch. Eines, wonach dein Traum aus sein wird. Wir haben deine DNA, und wir haben meine. Die vergleichen wir.«
    Louvois stand auf, legte die P 38 auf den Tisch und lächelte seelenruhig.
    »Wage es«, sagte er.
    Adamsberg sah ihn ohne Eile zur Tür schreiten, sie öffnen und davongehen. Frei wie ein Vogel. Ich bin gekommen, dir das Leben zu versauen.
    Er streckte den Arm über den Tisch, griff nach der Phiole und betrachtete sie lange. Nitrozitraminsäure. Er faltete die Hände, lehnte seine Stirn dagegen, schloss die Augen. Natürlich war er nicht immunisiert. Mit dem Fingernagel stieß er den Stöpsel des Flakons heraus.

25  
    Als er die Praxis des Arztes betrat, wurde Adamsberg bewusst, dass er fürchterlich nach Parfum roch und Dr. Josselin es überrascht bemerkte.
    »Eine Probe, die sich über mich ergossen hat«, erklärte er. »Nitrozitraminsäure.«
    »Kenne ich nicht.«
    »Ich habe den Namen erfunden, er klang gut.«
    Es war ein guter Moment gewesen, als Zerketch darauf hereingefallen war. Als er ihm geglaubt hatte, dass er Nitrozitraminsäure besäße, als er die Sache mit der Phiole geglaubt hatte und die Rechnung mit den Hundertstelsekunden. In dem Augenblick war Adamsberg der Meinung gewesen, ihn in der Hand zu haben, aber der Kerl besaß eine viel dramatischere Geheimwaffe als Nitrozitramin. Auch sie eine Täuschung, auch sie eine Illusion, aber sie hatte funktioniert. Er, Adamsberg, er, der Bulle, hatte Zerketch laufenlassen, ohne auch nur die Hand zu heben. Dabei lag die Pistole auf dem Tisch, und er hätte ihn in drei Sätzen einholen können. Oder das Viertel innerhalb von fünf Minuten abriegeln lassen können. Aber nein, der Kommissar hatte

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