Der verbotene Ort
der überraschende Beute gemacht hat. Er richtete sich ein wie im Hotel, breitete seine Akten auf dem Bett aus, studierte das Abendmenü »alla francese«, das ihnen um zweiundzwanzig Uhr serviert werden würde, Spargelcreme, Seezungen à la Plogoff, Bleu d’Auvergne, ein Tartufo zum Dessert, Kaffee, und das Ganze zu begießen mit einem Valpolicella. Er empfand die gleiche unbändige Freude wie in dem Augenblick, als er die Klinik von Châteaudun verließ, um in sein stinkendes Auto zurückzukehren und sich über Froissys unverhoffte Mahlzeit herzumachen. Was wieder einmal bestätigte, dachte er, dass nicht die Qualität das reine Vergnügen auslöst, sondern das Unerwartete des Behagens, worin immer es besteht.
Er trat wieder auf den Bahnsteig hinaus, um sich eine von Zerks Zigaretten anzuzünden. Das Feuerzeug des jungen Mannes war ebenfalls schwarz, verziert mit einem roten Labyrinth, das an die Windungen eines Gehirns erinnerte. Er erkannte den Enkel von Onkel Slavko mühelos, er hatte die gleichen strähnigen schwarzen Haare wie Dinh, zu einem Pferdeschwanz gebunden, beinahe gelbe, leicht geschlitzte Augen über hohen, breiten Wangenknochen, ein sehr slawisches Gesicht.
»Vladislav Moldovan«, stellte er sich vor, ein Mann in den Dreißigern, mit einem strahlenden Lächeln übers ganze Gesicht. »Sie können mich Vlad nennen.«
»Jean-Baptiste Adamsberg, danke, dass Sie mich begleiten werden.«
»Im Gegenteil, das ist phantastisch. Dedo hat mich nur zwei Mal mit nach Kiseljevo genommen, das letzte Mal, als ich vierzehn war.«
»›Dedo‹?«
»Großvater. Ich werde sein Grab besuchen, ich werde ihm Geschichten erzählen, wie seinerzeit er mir. Ist das unser Abteil?«, fragte er zögernd.
»Die Abteilung Dienstreisen hat mich mit einer prominenten Persönlichkeit verwechselt.«
»Phantastisch«, wiederholte Vladislav, »ich habe noch nie wie ein Promi geschlafen. Wahrscheinlich muss man das, wenn man die Dämonen von Kiseljevo herauszufordern gedenkt. Ich kenne viele Persönlichkeiten, die sich da lieber in einer Bruchbude verstecken würden.«
Geschwätzig, sagte sich Adamsberg, was aber wohl das Mindeste war bei einem Dolmetscher und Übersetzer, der mit den Wörtern jonglierte. Vladislav übersetzte aus neun Sprachen, und für Adamsberg, der schon den vollständigen Namen von Stock nicht behalten konnte, war ein Gehirn wie das seine etwas ebenso Fremdartiges wie der gewaltige Wissensspeicher von Danglard. Er fürchtete nur, der junge Mann mit dem glücklichen Naturell könnte ihn in eine endlose Unterhaltung verwickeln.
Sie warteten bis zur Abfahrt des Zuges, um den Champagner zu entkorken. Alles amüsierte Vladislav, das blankpolierte Holz, die Seifenstückchen, die kleinen Rasierer und selbst die Gläser aus richtigem Glas.
»Adrien Danglard, ›Adrianus‹, wie mein Dedo ihn nannte, hat mir nicht gesagt, warum Sie nach Kiseljevo wollen. Eigentlich fährt ja niemand nach Kiseljevo.«
»Weil es so klein ist oder wegen der Dämonen?«
»Haben Sie ein Dorf?«
»Caldhez, nicht größer als eine Stecknadel, in den Pyrenäen.«
»Gibt es Dämonen in Caldhez?«
»Zwei. Einen griesgrämigen Geist in einem Keller und einen singenden Baum.«
»Phantastisch. Was suchen Sie in Kiseljevo?«
»Ich suche die Wurzeln einer Geschichte.«
»Es ist ein sehr guter Ort für Wurzeln.«
»Haben Sie von dem Mord in Garches gehört?«
»Der alte Mann, der völlig zerstückelt wurde?«
»Ja. Wir haben ein Schreiben von seiner Hand gefunden, darin taucht der Name Kisilova auf, in kyrillischen Buchstaben geschrieben.«
»Und was hat das mit meinem Dedo zu tun? Adrianus hat gesagt, es wäre wegen Dedo.«
Adamsberg sah aus dem Zugfenster auf der Suche nach einem schnellen Einfall, was nicht seine Stärke war. Er hätte etwas früher über eine plausible Erklärung nachdenken sollen. Er hatte nicht vor, dem jungen Mann zu sagen, dass ein Zerk seinem Dedo die Füße abgesägt hatte. Solche Dinge können einem Enkel die Seele verwunden, ja sein glückliches Naturell zerstören.
»Danglard«, sagte er, »hat früher viel die Geschichten von Slavko gehört. Und Danglard hortet Wissen wie die Eichhörnchen Nüsse, und weit mehr, als er für zwanzig Winter brauchte. Er glaubt sich zu erinnern, dass ein Vaudel – so heißt das Opfer – eine Zeitlang in Kisilova gewohnt und Slavko ihm davon erzählt hat. Etwa, dass dieser Vaudel Feinde gehabt habe, vor denen er nach Kisilova geflohen sei.«
Die Geschichte war nicht
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