Der verbotene Schlüssel
erklärte Giovanni. Die drei Erdenbewohner hatten sich auf dem Marsch zur Zeitwäscherei nach schier endlosen Diskussionen zu dieser Maßnahme entschieden.
»Nur so lassen sich die Welten wieder umstülpen«, pflichtete Taqi dem Spanier bei.
Ich sah Thaurin fragend an.
»Es ist deine Entscheidung«, sagte der Automant.
Die anderen Mekanisier nickten.
Lykos stieß mir mit der Schnauze in die Seite. »Wenn einer von euch dreien den ungezügelten, unschuldigen und freien Willen hat, der Wunder zu vollbringen vermag, dann bist du das. Theo, das Menschenkind.«
Ich atmete geräuschvoll aus. »Also gut. Ich nehme an, Poseidonios steckt noch dort, wo ich ihn verloren habe: im Labyrinth der Zeit. Weiß jemand, wie wir es finden?«
»Ja, ich«, meldete sich Nullus zu Wort. »Ich fürchte nur, dein Meister ist zwischen den wandernden Wänden längst zerquetscht worden.«
»Wir sind zusammen hineingeraten. Sehe ich etwa aus wie Matsch?«
Nullus quietschte leise, was wohl seine Art zu seufzen war. »Deinen Dickkopf möchte ich haben, Theo! Wenn du unbedingt hineingehen musst, werde ich dich führen.«
Der Zugang zum Irrgarten der Zeit befand sich zwei Ebenen tiefer als die Asservatenkammer. Er lag hinter einer fast unsichtbaren Geheimtür. Sie versteckte sich im Schatten einer Säule und wurde von einem Paar Gliederpuppen bewacht. Thaurin brach der einen das Rückgrat und Lykos biss der anderen den Kopf ab. Danach zogen sich der Wolf, der Automant, Arki und die beiden Uhrmacher in eine nahe Abstellkammer zurück, um auf die Rückkehr ihrer Gefährten zu warten. Nullus schleifte unterdessen die kaputten Maschinenwesen in die Irrgänge, um sie an geeigneter Stelle liegen zu lassen. Ich folgte ihm mit einem flauen Gefühl im Magen.
»Ich glaube, ich habe gerade die Schrottpresse erfunden. Wie gefällt dir das Wort?«, quietschte Nullus zufrieden, während er durch eine sich schließende Öffnung beobachtete, wie die Decke im Gang nebenan langsam die Puppen zermalmte.
Als das Knirschen des sich verbiegenden Stahls fast unerträglich wurde, wandte ich mich ab. Es sind nur Maschinen!, sagte ich mir. Trotzdem musste ich daran denken, dass es meinem Meister ähnlich ergangen sein könnte. »Wie gehen wir vor, Nullus?«
»Systematisch. Wie sonst?«
»Sag jetzt nicht, in diesem Irrgarten gäbe es irgendeine Ordnung.«
»Wir sind in Mekanis, mein Freund. Da hat alles seine Ordnung. Manchmal ist sie nur schwer zu erkennen. Komm! Bleib immer dicht hinter mir.«
»Äh … Dürfte ich dich um einen Gefallen bitten?«
»Nur zu.«
»Schlenker nicht so mit den Armen.«
Der Ohnekopf quietschte amüsiert. »Ich werd’s versuchen. Stelle dich bitte darauf ein, dass ich das Gleichgewicht verliere und auf dich draufkippe.«
»Vergiss meinen törichten Wunsch.«
Meinem Zeitgefühl nach – dem ich an diesem Ort am allerwenigsten traute – vergingen über der Suche nach meinem alten Meister etwa zwei Stunden. Ich konnte keinerlei Systematik in Nullus’ Weg durch das Labyrinth der Zeit erkennen. Nichtsdestotrotz lag in seiner Wahl der Gänge eine traumwandlerische Sicherheit, die beruhigend wirkte.
Wiederholt blieb mein Blick an den Zeitfenstern hängen. Auf den spiegelnden Wänden sah ich Szenen aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschen.
Und einmal mehr das hübsche Gesicht des blonden Mädchens, das mich bisweilen in meinen Träumen besuchte.
»Wir sind fast am Ende angelangt«, sagte Nullus irgendwann. »Oder wenn du willst, wieder am Anfang. Es gibt nämlich meines Wissens nach nur einen Zugang zum Irrgarten der …« Er verstummte jäh, als aus einem Seitengang rückwärts ein Mann stolperte. Wohlgemerkt, kein Maschinenwesen, sondern ein richtiger Mensch.
Ich hätte seine hagere Erscheinung unter Tausenden wiedererkannt und das in jeder Verkleidung. Dieser Gedanke flatterte mir durch den Sinn, weil sich Poseidonios seine Augen mit einem schwarzen Streifen zusammengerollten Tuchs bedeckt hatte. Ansonsten schien die Gebrechlichkeit von ihm gewichen zu sein wie der Winterspeck von einem Bären beim Frühjahrserwachen.
»Meister!«, rief ich voll überschwänglicher Freude.
Der Alte legte den Kopf schräg, als traue er dem Klang der jugendlichen Stimme nicht. Dann fuhr er herum. »Theophilos, du kleine Ameise, da bist du ja endlich! Ich habe dich die ganze Zeit gesucht.«
»Mich? Tausendsechshundert Jahre lang?«
Wir liefen aufeinander zu, der Philosoph vorsichtig und mit ausgestreckten Armen, ich dafür
Weitere Kostenlose Bücher