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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Schoßbärchen. Sogar vor den meisten seiner Untertanen verbirgt er den wahren Zweck der Zeitwäscherei – die Hohlköpfe glauben, sie sei nur ein gewöhnlicher Verwaltungsapparat. In Wahrheit ist sie sein wichtigstes Werkzeug zur Vertuschung seiner Untaten. Wenn es ihm angemessen erscheint, wischt er hier komplette Jahre oder mehr aus eurem Leben hinweg.« Der Goldbär deutete zum Gebäude. »Es sind diese Bewegungen, mit denen er in den Lauf der Zeit eingreift.«
    »Ich hatte das Gefühl, ein kleiner Teil davon lässt sich nicht ausradieren.«
    »Das stimmt. Aber in deiner Welt dürfte das kaum jemandem aufgefallen sein. Gemessen an der ganzen Menschheitsgeschichte, blieb Mekanis meistens in seinem Kokon und bereitete sich auf die nächste Metamorphose vor. Und sobald es wieder herausschlüpfte, griff Oros auch in den Lauf der Außenwelt ein.«
    »Das heißt, er stahl sich Zeit zusammen?«
    »Ja. Hier ein paar Jahre und dort ein paar Jahre, selten ein größeres Stück. In deiner Welt haben sich vielleicht nur manche gewundert, wenn der Vollmond einen Tag zu früh kam. Aber dass ihnen ein Jahr oder sogar zehn ihrer Lebenszeit gestohlen worden waren, um Mekanis erneut zu verwandeln, das bemerkten sie nicht. Und weißt du, warum?« Der kleine Bär deutete zum Spruch über dem Portal. »Mit der Zeit wäscht Oros auch die Erinnerungen an die verlorenen Stunden fort. Was einem nicht gewahr wird, das vermisst man nicht.«
    »Wie viele Lebenstage mag er den Menschen wohl diesmal stehlen?«, murmelte ich beklommen.
    Taqi machte eine vage Handbewegung. »Ich vermute, genauso viel wie hier seit dem Stillstand der Weltenmaschine verstrichen ist. Bestimmt fragt ihr euch, wie ich darauf komme.«
    Giovanni stöhnte. »Wie sollte es anders sein, wenn der Herrscher der Zeit sich durch das Ei ans stoffliche Universum gebunden hat?«
    »Euch habe ich nicht gefragt, Meister Neunmalklug.«
    »Das tut Ihr ja nie.«
    »Bevor wir uns über Theos kosmische Rettungs- und Wiederherstellungspläne Gedanken machen, müssen wir dieses Ei zurückbekommen«, knurrte Lykos. Er deutete mit der Schnauze zu dem monumentalen Würfelspiel. »Wie kommen wir da rein?«
    »Die Zeitwäscherei ist ein Beamtenapparat«, sagte Thaurin nüchtern. »Die zentrale Schaltstelle für jedes Geschehen in Mekanis. Die Kontrolleure des Königs schlafen nie. Ich weiß, das klingt, als ob es uns die Sache schwerer macht.«
    »Etwa nicht?«
    »Nein. Man ist hier so auf den ständigen Verkehr und das bunte Gemisch von Geschöpfen eingestellt, dass wir kaum auffallen werden.«
    »Das heißt, du willst einfach in den Würfelbecher hineinmarschieren?«
    Thaurin lächelte. »Warum nicht? Ihr bringt wichtige Kunde aus fernen Landen. Wer beweist euch das Gegenteil? Zumal wenn ich euch zum König eskortiere, ein Kommandant der Leibgarde?«
    »Fragt sich nur, wo wir nach dem Weltenei suchen sollen«, quietschte Nullus.
    Arki richtete sich in Lykos’ Nacken zu seiner ganzen Größe auf und stemmte die Tatzen in die Seiten. »Da könnt ihr euch vertrauensvoll an mich wenden. Ich bin nämlich Seiner Majestät Schmusebär.«
    »A. D.«, brummte unter ihm der Wolf.
    »Anno Domini?«, wunderte ich mich.
    Lykos grinste. »Außer Dienst.«
    Thaurin bewegte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die Zeitmaschine. Er wurde gewissermaßen eins mit den Bewegungen der sich verschiebenden Quader. Der Begriff Durchgangszimmer bekam hier eine völlig neue Bedeutung. Nicht die Besucher, sondern die Räume schritten vorbei. Oder vielmehr glitten sie – genauso wie die Wände im Labyrinth der Zeit.
    Hin und wieder mussten wir monotone Kontrollen und Fragen über uns ergehen lassen, die hauptsächlich dem Zweck dienten, Maschinen mit Fehlfunktion vom König fernzuhalten. Zur Abwehr beseelter Mechanismen, die mit List und Täuschung vorgingen, waren die Sicherheitsmaßnahmen gänzlich ungeeignet. Dafür hatte Oros offenbar sein »Würfelspiel« ausgedacht, das die zwei Uhrmacher und mich an den Rand der Verzweiflung trieb.
    Wohlweislich blieben wir immer dicht hinter dem Automanten. Wir durchquerten kreisende Korridore, erwischten die Zugänge überfüllter Wartesäle, fuhren in Salons um mehrere Stockwerke nach oben, nur um gleich wieder in anderen Kammern hinabzugleiten, mussten gelegentlich vom Fußboden auf die Wände oder sogar die Decke hinüberschreiten, wenn ein Raum umkippte, und gelangten auf diese Weise endlich in den nahezu unbevölkerten, runden, rotierenden Kern der

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