Der verbotene Schlüssel
mir bewusst, dass wir nur als Gedanken existierten. Die sind bekanntlich sehr unstete Gebilde. Ich glaube, bevor du nach Mekanis kamst, glich ich mal einem gewöhnlichen Zentauren, einem Pferdemenschen, dann wieder einem Minotauren, einem Mann mit Stierkopf.«
Theo schnappte nach Luft. »Wollt ihr mir jetzt alle einreden, dass ich der Schöpfer von Mekanis bin?«
»Nein«, antwortete Sophia, »aber die stoffliche Erschaffung dieser Welt wurde durch dich erst möglich und teilweise sogar mitbeeinflusst. Wenn du’s unbedingt ins Lächerliche ziehen willst, dann nenne dich eben den Schimmelpilz, der mit seinen Ausscheidungen die Gärung in Gang gebracht hat. Wenn du allerdings ohne Vorbehalte darüber nachdenkst, ergibt deine ganze Geschichte dadurch plötzlich einen Sinn. Erklärte Lykos dir nicht, die Geschöpfe hier seien ein Echo der Welt draußen?«
»Weil es stimmt«, sagte der Wolf.
»Siehst du, Theo! Der Herr der Zeit hat schon in Ys ein Mädchen benutzt. Aus ihrer kindlichen Unschuld schöpfte er Kraft, heißt es in dem alten Mythos. Erst als Dahut zur Frau heranreifte und zur Mörderin geworden war, wollte er sie loswerden. Ich kann mich noch gut erinnern, wie du dich selbst beschrieben hast. Du bewahrtest dir die kindliche Sicht auf die Welt, sagtest du: das Staunen, die Neugierde, das Vertrauen, die Unschuld. Genau das fürchtet Oros und zugleich braucht er es.«
»Du meinst, um die Uhr aufzuziehen? So wie die Meister Taqi und Giovanni wollten, dass ich das für sie erledige?«
»Ja, auch.« Jetzt erst drehte sie sich zu ihm um. »Eigentlich geht es doch darum, die Macht der Weltenuhr zu kontrollieren . In seinen Händen würde sie sofort stehen bleiben. Aber nicht bei jemandem wie dir, der unschuldig ist wie ein Kind …« Sie grinste. »Obwohl er schon fast ein Mann ist. Vielleicht bist du auch wie Prinzessin Dahut von Ys so eine Art Batterie für ihn, ein Energiespeicher, den er aussaugt und später wegwirft.«
Theo zog eine Grimasse. »Du hältst ihn für einen Vampir?«
»Unsinn! Ich rede von deinem inneren Potenzial, von deinem Geist. Er macht dich stark. Mir scheint sogar, dass der Stundenwächter deine wahre Macht unterschätzt hat. Im Labyrinth der Zeit, als du ihn noch für Poseidonios gehalten hast, sagte Oros, er hätte nicht gedacht, dass deine Kraft Maschinen zu beseelen vermag. Und in der Asservatenkammer gab er offen zu, dass es ihm unmöglich ist, dir seinen Willen aufzuzwingen.«
»Er kann dich zwar nicht zwingen, aber dich verführen«, warnte Thaurin. »Deshalb hat er dich immer wieder verschont und dir sogar eine Teilhaberschaft am Thron angeboten.«
»Das war doch nicht ernst gemeint.«
»Da bin ich mir nicht …«
Das Klappern von Schlüsseln ließ alle Köpfe zur Tür herumfahren. Das eiserne Schott schwang auf und eine Gliederpuppe mit gezücktem Schwert und Kettenhemd betrat die Zelle. Sofort versperrten ihr Thaurin und Lykos den Weg zu den beiden Menschen. Arki krabbelte wieselflink auf Sophias Schoß und flüsterte: »Keine Angst, ich beschütze dich.«
»Du bist meine Geheimwaffe. Besser du versteckst dich in meinem Rucksack«, gab sie leise zurück und stopfte ihn samt dem Merkwürdigsten Buch in die Tasche. In Wahrheit wollte sie den Goldbären vor Schaden bewahren, weil sie das Schlimmste befürchtete. Hatte Oros ihnen eine Meuchlerin geschickt? Er mochte für seinen alten Schüler eine Verwendung haben, aber in dessen Gefährten sah er wohl eher eine Gefahr …
»Du schon wieder«, brummte Theo. Er hatte sich längst ebenfalls aufgeschwungen und stand etwas nach hinten versetzt zwischen Wolf und Automant. »Ich habe deine Nummer vergessen. A 148 …?«
»Ich heiße Andora.«
»Oh? Ein griechischer Name. Du bist also eine Kriegerin, die gekommen ist, um uns das Letzte zu stehlen, was wir noch besitzen: unser Leben . «
»Dich soll ich verschonen, hat der König gesagt.«
Sophia wurden die Knie weich.
»Erst musst du an uns vorbei, bevor du dem Mädchen etwas antun kannst«, sagte Thaurin drohend.
Andoras Metallgesicht lächelte, während sie einmal mehr ihr Kettenhemd lüpfte. »Denkst du, ich will mir das hier ein zweites Mal zumuten?« Sie ließ es wieder herabklimpern und schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin gekommen, um euch zu befreien.«
»Du meinst, du willst uns in eine Falle locken«, sagte Thaurin. »Irgendwo lauert uns ein Trupp Gardisten auf, um uns alle niederzumachen.«
»Das könnten wir auch leichter gleich hier erledigen. Ich stehe
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