Der verbotene Schlüssel
ölige Schlieren entlang. Es roch wie in einer dreckigen Fabrikhalle. Sophia saß ebenso wie Theo im Schneidersitz am Boden, beide hatten ihre Rücken aneinandergelehnt, und sie blickte trübsinnig vor sich hin. Alles schien verloren. Trotzdem war da immer noch das unterschwellige Gefühl, etwas übersehen zu haben. Die merkwürdigste Geschichte der Welt hatte ihr Geheimnis noch nicht preisgegeben. Weil auch die anderen Gefährten stumm ihren Gedanken nachhingen, holte sie die Aufzeichnungen ihres Großvaters aus dem Rucksack und begann, darin zu blättern.
Mit einem Mal blickte sie aus dem Buch auf. Gedankenversunken strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und murmelte: »Der Freund der Götter …«
»Was hast du gesagt?«, fragte Theo hinter ihr.
»Ich musste daran denken, was Lykos vorhin über deinen Namen bemerkt hat. Dass du so eine Art Auserwählter bist.«
»Ach, das! Und?«
»Ich bin überzeugt, dass er recht hat. Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass der kosmische Mechanismus sozusagen unter deinen Augen entstanden ist? Man könnte fast glauben, Oros habe Poseidonios, Hans Gruber, Taqi al-Din, Giovanni Torriano und sogar Obal dazu verführt, dich immer wieder ins Spiel zu bringen.«
Arki kam angewackelt und setzte sich vor Sophia auf den Boden. »Klingt interessant, was du da sagst. Erzähl weiter.«
Sie deutete in das Buch auf ihrem Schoß. »Hier steht, die Macht der Weltenuhr kann nur jemand kontrollieren, der unschuldig ist wie ein Kind.«
»Ich kann das schon nicht mehr hören. Sehe ich etwa aus wie ein Kind?«, fragte Theo vorwurfsvoll.
»Nein, du bist … äh, ziemlich männlich.« Sophia merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Wie gut, dass sie Rücken an Rücken saßen.
»Ein Kind ist man im Herzen, egal wie alt, groß oder verschrumpelt man ist«, brummte Lykos aus dem Hintergrund.
»Das könnte aber auf Sophia genauso zutreffen«, sagte Theo hörbar angespannt. Offenkundig behagte ihm das Thema nicht. Kraftlos ließ er seinen Kopf gegen den ihren sinken. »Vorhin hast du sie doch aufgezogen und es hat genauso funktioniert wie bei mir.«
»Vielleicht seid ihr gemeinsam erwählt«, schlug Lykos vor.
Der Goldbär nickte eifrig. »So wird’s sein, Theo. Du hast ja erzählt, wie dir Sophia im Traum erschienen ist. Und im Irrgarten der Zeit.«
Der Gedanke, in dieser kosmischen Inszenierung selbst eine Schlüsselrolle zu spielen, behagte nun wiederum Sophia nicht. Mit einem Mal verstand sie das beharrliche Sträuben ihres Freundes. Das Gefühl, ihn jetzt auch an ihrem Hinterkopf zu spüren, empfand sie dagegen als wunderbares Zeichen der Vertrautheit. »Ich bin höchstens die Fährtensucherin in dieser Geschichte, aber mir scheint, Theo ist der Katalysator.«
»Was soll ich sein?«
»Das habe ich im Schulunterricht gelernt. Chemische Katalysatoren beschleunigen eine Reaktion zwischen unterschiedlichen Stoffen oder bringen sie überhaupt erst in Gang.«
Theos Kopf löste die Verbindung wieder und seine Stimme klang plötzlich aufgekratzt. »Habe ich euch nicht gesagt, dass sie blitzgescheit ist? Ich verstehe kein Wort davon.«
»Jetzt stell dich nicht dümmer, als du bist«, sagte Sophia unwillig. Hätte er nicht einfach so sitzen bleiben können wie vorher? »Es ist im Grunde wie bei der Käseherstellung: Die Fermentation, die die Milch umwandelt, basiert auch auf Enzymen, also auf Biokatalysatoren.«
»Willst du damit andeuten, ich sei so eine Art Schimmelpilz, der Oros stocksauer macht?«
»Ganz im Gegenteil. Er braucht dich. Hast du nicht erzählt, in der Werkstatt von Meister Hans Gruber hing ein Druck von Albrecht Dürer …?«
»Ja, das Rhinocerus. «
»Und kaum hüpfst du von dort nach Mekanis, begegnet dir ein Dreifach Gehörnter Automant.«
»Hatte Meister Hans auch Wölfe?«, fragte Lykos.
»Wohl nicht«, sagte Arki. »Aber bestimmt Drahtbürsten.«
»Dasselbe bei der Gliederpuppe«, setzte Sophia ihre Aufzählung unbeirrt fort. »Auch dafür gab es ein Vorbild in der Werkstatt. Und das Mäanderornament, das die Assel in der Erdspalte gezeichnet hat, ist dir schon in Rhodos begegnet.«
»Was willst du mir eigentlich sagen, Sophia? Die Dreifach Gehörnten Automanten und Gliederpuppen gab es in Mekanis schon lange, bevor ich hier aufgekreuzt bin.«
»Das ist so nicht ganz richtig«, widersprach Thaurin. »Als Maschinen haben wir uns nie die Frage nach dem eigenen Ich und dem Sinn unseres Daseins gestellt. Erst jetzt, wo wir darüber reden, wird
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