Der verbotene Turm - 11
einen gegebenen Eid brechen, ohne die Erlaubnis erhalten zu haben.
Leonie hob die Augen, und der stahlblaue Blick war pl ö tzlich wie ein gleißender Blitz.
Liegt es daran, dass er zu ehrenhaft ist , fragte sie hart, oder daran, dass du zu viel Angst hast?
Callista war es wie ein Stich ins Herz, aber ihre Stimme blieb fest. Ich habe keine Angst.
Vielleicht nicht um dich selbst – das glaube ich dir. Aber auch nicht um ihn, Callista? Du kannst immer noch ohne Strafe, ohne Unbill nach Arilinn zur ü ckkehren, doch wenn du nicht zur ü ckkehrst – soll das Blut deines Liebhabers ü ber dich kommen? Du w ä rst nicht die erste Bewahrerin, die einem Mann den Tod bringt!
Callista hob die Hand und ö ffnete die Lippen zum Widerspruch, aber Leonie winkte ihr zu schweigen und fuhr erbarmungslos fort: Bist du im Stande gewesen, auch nur seine Hand zu ber ü hren?
Callista f ü hlte sich von Erleichterung ü berflutet, einer so großen Erleichterung, dass sie wie k ö rperlicher Schmerz war und ihr die Kraft nahm. Mit dem getreuen Erinnerungsverm ö gen des Telepathen ließ sie ein Bild in sich aufsteigen, und es war, als sei die Zeit, die zwischen dem Damals und dem Heute lag, ausgel ö scht .
Andrew hatte sie aus der H ö hle getragen, wo die Große Katze tot lag, ein geschw ä rzter Leichnam neben der zerschmetterten Matrix, die sie entweiht hatte. Andrew hatte sie in seinen Mantel gewickelt und vor sich aufsein Pferd gesetzt. Von neuem f ü hlte sie, als sei es Wirklichkeit, wie sie sich an ihn lehnte, wie ihr Kopf an seiner Brust lag, in die Beugung seines Arms geschmiegt, wie sein Herz dicht an ihrer Wange schlug. Sicher, warm, gl ü cklich, v ö llig im Frieden. Zum ersten Mal, seit sie zur Bewahrerin gemacht worden war, f ü hlte sie sich frei. Sie ber ü hrte und wurde ber ü hrt, sie lag in seinen Armen und war es zufrieden. Und w ä hrend des ganzen langen Rittes nach Armida hatte sie dort gelegen, in seinen Mantel gewickelt, erf ü llt von solchem Gl ü ck, wie sie es sich nie hatte vorstellen k ö nnen.
Als Leonie das Bild in Callistas Gedanken auffing, ver ä nderte sich das Gesicht der ä lteren Frau. Dann sagte sie mit sanfterer Stimme, als Callista je von ihr geh ö rt hatte: Ist das so, Chiya? Dann, wenn Avarra dir gn ä dig ist, m ö ge es sein, wie du w ü nschst. Ich hatte es nicht f ü r m ö glich gehalten.
Und Callista empfand eine merkw ü rdige Unruhe. Ganz ehrlich war sie zu Leonie doch nicht gewesen. Ja, in dieser kurzen Zeitspanne hatte sie gebrannt vor Liebe, hatte sich warm, furchtlos, zufrieden gef ü hlt – aber dann war der alte nerv ö se Zwang nach und nach zur ü ckgekommen, und jetzt fand sie es schon schwierig, seine Fingerspitzen zu ber ü hren. Bestimmt war das nur die Gewohnheit, die jahrelange Gewohnheit, versicherte sie sich selbst. Bestimmt kam alles in Ordnung .
Leonie fragte liebevoll: ungl ü cklich machen, wenn m ü sstest?
Callista merkte, dass sie ihre ruhige Haltung verloren hatte. Sie sagte – und sie wusste, dass ihre Stimme brach und dass die Tr ä nen aus ihren Augen st ü rzten –: Ich w ü rde nicht weiterleben wollen, Leonie.
So . Leonie sah sie mit schrecklicher, losgel ö ster Traurigkeit lange an. Begreift er, wie schwer es sein wird, Kind?
Ich glaube – ich bin sicher, dass ich es ihm klarmachen kann , meinte Callista z ö gernd. Er hat versprochen, so lange zu warten, wie wir m ü ssen.
Leonie seufzte. Nach kurzem Schweigen sagte sie: Nun, dann, Kind . Kind, ich will nicht, dass du ungl ü cklich wirst. Wie ich gesagt habe, der Eid einer Bewahrerin ist eine zu schwere B ü rde, um ohne innere Zustimmung getragen zu werden. Sie vollf ü hrte eine merkw ü rdige f ö rmliche Geste: Sie streckte Callista ihre Handfl ä chen entgegen, und die j ü ngere Frau legte die ihren dagegen. Leonie holte tief Atem. Sei frei von deinem Eid, Callista Lanart. Vor den G ö ttern und vor allen Menschen erkl ä re ich dich f ü r schuldlos und von der Fessel los, und dabei werde ich bleiben.
Langsam trennten sich ihre H ä nde. Callista flog an allen Gliedern. Leonie nahm ihr Taschentuch und trocknete Callistas Augen. Sie fl ü sterte: Ich bete darum, dass ihr beide stark genug sein werdet. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, unterließ es jedoch. Nun, ich nehme an, dein Vater wird eine ganze Menge dazu zu sagen haben, mein Liebling. Deshalb wollen wir gehen und es uns Dann, Kind, w ü rde es dich tats ä chlich du von deinem Liebhaber scheiden anh ö ren. L ä chelnd
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