Der verbotene Turm
werden sie krank, und manchmal sterben sie. Ich weiß nicht, warum es so ist, Lady, ich weiß nur, daß es oft passiert.«
Auch daran bin ich schuld , dachte Callista in plötzlicher Verzweiflung. Beim Kampf mit den Katzenwesen hatte er den Gebrauch seiner Beine verloren. Ihr fiel ein, wie liebevoll ihr Vater heute Morgen zu ihr gewesen war, und der Kummer überwältigte sie. Wenn er nun starb, gerade jetzt, wo sie begonnen hatte, ihn kennen zu lernen! Im Turm war sie vor Kummer wie vor Freude abgeschirmt gewesen. Jetzt schien ihr die Welt draußen mit so vielem Leid erfüllt zu sein, daß sie es nicht ertragen konnte. Wie hatte sie nur den Mut gefunden, den Turm zu verlassen?
Ferrika beobachtete sie voller Mitgefühl, aber Callista war zu unerfahren, um es zu merken. Sie hatte gelernt, sich ausschließlich auf sich selbst zu verlassen, und nun war sie nicht mehr im Stande, sich an jemand anderen um Rat und Trost zu wenden. Nach einer Weile ging Ferrika, da sie Callista in ihre eigenen Gedanken versunken sah, leise hinaus. Callista versuchte, mit ihrer Arbeit fortzufahren, aber Ferrikas Bericht hatte sie so erschüttert, daß ihr die Hände nicht gehorchen wollten. Schließlich legte sie ihre Rohstoffe weg, säuberte die Apparate und verließ das Zimmer. Die Tür schloß sie hinter sich.
Die Männer und die Mägde waren mit der Wäsche fertig, und in dem so seltenen hellen Sonnenschein hingen sie draußen in den Höfen Laken und Handtücher, Tischdecken und Unterwäsche an überall gespannten Leinen auf. Sie lachten vergnügt und riefen sich Scherze zu und platschten durch Schlamm und schmelzenden Schnee. Der Hof war voll von nassem Zeug, das im Wind flatterte. Die Leute waren fröhlich bei der Arbeit, aber Callista wußte aus Erfahrung, daß es ihre gute Stimmung dämpfen würde, wenn sie sich ihnen anschloß. An Ellemir waren sie gewöhnt, doch sie war für die Frauen des Gutes – und noch mehr für die Männer – immer noch eine merkwürdige Fremde, die man zu fürchten und zu verehren hatte, eine Comyn -Lady, die in Arilinn eine Leronis gewesen war. Nur Ferrika, die sie als Kind gekannt hatte, war fähig, in ihr eine junge Frau wie sie selbst zu sehen. Callista betrachtete die Mädchen und Frauen, die mit den Armen voll nasser Wäsche für die Leinen gelaufen kamen und mit trockenen Laken für die Schränke zurückkehrten und sich dabei neckten. Es wurde ihr bewußt, wie einsam sie war.
Sie gehörte nirgendwohin, nicht in den Turm und auch nicht unter die Leute draußen.
Dann ging sie weiter zu den Gewächshäusern. Im Inneren waren immer Öfen aufgestellt, aber einige der Pflanzen in der Nähe der Glasscheiben waren doch vom Frost befallen worden, und in einem der Gebäude hatte das Gewicht des Schnees mehrere Scheiben eingedrückt. Obwohl man den Schaden in aller Eile repariert hatte, waren ein paar Obstbüsche gestorben. Callista entdeckte Andrew auf der anderen Seite. Er zeigte einem Gärtner, wie die beschädigten Zweige abzuschneiden waren und wie man auf das gesunde Holz achten mußte.
Callista betrachtete Andrew selten mit ihren Augen, da sie so daran gewöhnt war, ihn auf vielerlei andere Art wahrzunehmen. Jetzt fragte sie sich, ob Ellemir ihn gut oder schlecht aussehend fand. Der Gedanke ärgerte sie mehr, als es die Sache wert war. Sie wußte, Andrew hielt sie für schön. Da sie keine eitle Frau war und das Tabu während ihres ganzen Lebens als Erwachsene männliche Aufmerksamkeit von ihr fern gehalten hatte, überraschte sie das immer wieder ein bißchen. Aber jetzt war sie überzeugt, da Ellemir so reizend und sie so dünn und blaß war, mußte er Ellemir schöner als sie finden.
Andrew sah auf, lächelte und winkte sie zu sich. Sie stellte sich neben ihn und nickte dem Gärtner höflich zu. »Sind diese Büsche alle tot?«
Andrew schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Bis auf die Wurzeln erfroren vielleicht, aber im Frühling werden sie wieder treiben.« An den Gärtner gewandt, setzte er hinzu: »Kennzeichne die Stellen, wo du Büsche zurückgeschnitten hast, damit du dort nichts anderes pflanzt und dadurch die Wurzeln störst.«
Callista sah sich die abgeschnittenen Zweige an. »Diese Blätter sollte man abpflücken und aussortieren und diejenigen, die nicht vom Frost geschädigt sind, trocknen. Sonst haben wir im Frühling kein Gewürz für den Braten.«
Andrew gab den Befehl weiter. »Gut, daß du gekommen bist! Ich mag ein guter Gärtner sein, aber ich bin kein Koch, nicht
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