Der verbotene Turm
… und ich benutzte die Matrix, um zu töten …« Sie begann wild zu schreien, sich mit den Fäusten zu schlagen, ihr Gesicht mit den Nägeln zu zerfleischen. Andrew hob Ellemir behutsam in einen niedrigen Sessel und lief zu Callista. Er versuchte, ihre um sich dreschenden Arme festzuhalten. Ein Schauer blauer Funken stob auf, und er landete betäubt an der gegenüberliegenden Wand. Callista sah ihn mit weit aufgerissenen, wahnsinnigen Augen an und schrie von neuem. Ihre Nägel rissen ihre Wangen auf, und das Blut folgte ihnen in dünnen, scharlachroten Linien.
Damon sprang vor. Er packte ihre Handgelenke mit einer Hand, hielt die sich wehrende, kreischende Frau eisern fest und schlug ihr mit der offenen Hand heftig ins Gesicht. Das Schreien erstarb zu einem Keuchen. Sie brach zusammen, und er hielt sie aufrecht und bettete ihren Kopf an seiner Schulter.
Callista begann zu schluchzen. »Ich hatte meinen Eid zurückgegeben … Ich konnte mich nicht beherrschen … Ich bin ihm als Bewahrerin entgegengetreten! Damon, ich bin immer noch Bewahrerin, obwohl ich meinen Eid … meinen Eid …«
»Verdammt sei dein Eid!« rief Damon und schüttelte sie. »Callista! Hör auf damit! Weißt du nicht, daß du uns allen das Leben gerettet hast?«
Sie hörte auf zu weinen, aber ihr Gesicht, grausig anzusehen mit den Streifen aus Blut und Tränen, war zu einer Maske des Entsetzens verzerrt. »Ich bin meineidig. Ich bin meineidig.«
»Wir sind alle meineidig«, stellte Damon fest. »Jetzt ist es zu spät. Verdammt noch mal, Callie, nimm dich zusammen! Ich muß nachsehen, ob es diesem Bastard gelungen ist, auch deinen Vater zu töten. Und Ellemir …« Der Atem stockte ihm. Callista, durch den Schreck wieder zu sich gekommen, ging schnell zu Ellemir, die bewegungslos in ihrem Sessel lag.
Einen Augenblick später hob Callista den Kopf. »Ich glaube nicht, daß das Kind gelitten hat. Oh, Damon, sieh, ob bei unserem Vater alles in Ordnung ist.«
Damon ging in Dom Estebans Raum der Suite. Aber er wußte vorher, der alte Mann war dem Tod so nahe, daß die Natur ihren eigenen Schutzschirm erzeugt hatte. Ihm war das Wissen um jene tödliche Schlacht erspart geblieben. Doch Damon brauchte einen Augenblick des Alleinseins, um seine neue Erkenntnis zu verarbeiten.
Ohne nachzudenken war er gegen eine Bewahrerin vorgegangen, eine Alton, hatte instinktiv gehandelt, um sie aus ihrer Hysterie zu erwecken, und die volle Verantwortung selbst übernommen.
Ich bin es, der der Bewahrer von uns vieren ist. Was wir auch tun mögen, ich trage die Verantwortung dafür .
Es würde nicht mehr lange dauern, bis man Rechenschaft über das, was er getan hatte, von ihm forderte. Jeder Telepath von Dalereuth bis zu den Hellers mußte Zeuge dieses Todes gewesen sein.
Und er hatte sie bereits argwöhnisch gemacht, was in ihrer Vierergruppe vor sich ging, als er zusammen mit Andrew und Dezi diese Landmarke in der Überwelt baute, um die Männer mit den Erfrierungen zu heilen. Von neuem nagte der Gram an ihm, daß der Junge ein so schreckliches und tragisches Ende gefunden hatte. Aldones, Herr des Lichts … Dezi, Dezi, welch eine Verschwendung, welch eine tragische Verschwendung aller seiner Gaben …
Doch selbst der Gram wich der Erkenntnis, was er getan und was er geworden war.
Aus Arilinn ausgestoßen, hatte er seinen eigenen Turm gebaut. Und Varzil hatte ihn als Tenérezu gegrüßt. Bewahrer. Er war Bewahrer eines verbotenen Turms.
20
Damon hatte gewußt, es würde nicht lange dauern, bis er zur Rechenschaft gezogen wurde, und so war es auch.
Ellemir hatte sich beruhigt. Sie saß in dem Sessel, in den Andrew sie gelegt hatte, und stöhnte nur noch ein bißchen vor Schock. Ferrika, die man gerufen hatte, sah sie entgeistert an.
»Ich weiß nicht, was Ihr getan habt, Lady, aber wie dem auch sei – falls Ihr nicht auch dies Kind verlieren wollt, solltet Ihr lieber zu Bett gehen und dort bleiben.« Vorsichtig führte sie ihre Hände über Ellemirs Körper. Zu Damons Überraschung berührte sie sie nicht, sondern ließ einen Raum von einem oder zwei Zoll zwischen ihren Fingerspitzen und Ellemirs Körper. Schließlich erklärte sie mit leichtem Stirnrunzeln: »Dem Kind fehlt nichts. Tatsächlich seid Ihr in schlechterem Zustand als er . Ich werde eine warme Mahlzeit für Euch bringen lassen, und Ihr eßt sie und geht ins –« Sie unterbrach sich und blickte erstaunt und entsetzt auf ihre Hände.
»Im Namen der Göttin, was tue ich
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