Der verbotene Turm
eine Schublade auf. »Das hier …« – erwies auf zerstampfte Samenkörner – »… sind Küchengewürze, und sie stellt auch Weihrauch als Wohlgeruch für die Innenräume und ein paar kosmetische Lotionen und Parfüms her. Nichts von dem Zeug, das man in den Städten kaufen kann, ist auch nur halb so gut wie die nach den alten Rezepten hergestellten Mittel.«
»Was war das Getränk, das Ellemir ihr gegeben hat?«
Damon zuckte die Schultern. »Der Goldblumentee? Das ist ein Muskel-Tonikum, gut gegen Krämpfe und Spannungen aller Art. Er kann ihr nicht schaden. Man gibt es schwangeren Frauen und auch Babys mit Kolik.« Doch Damon fragte sich, ob es Callista helfen konnte. Wenn die körperlichen Prozesse auf so tiefgreifende Weise gestört worden waren … Wie hatte Leonie so etwas tun können?
Andrew nahm den Gedanken so deutlich wahr, als ob Damon ihn laut ausgesprochen hätte. »Ich wußte, daß bei Bewahrerinnen einige körperliche Veränderungen hervorgerufen werden. Aber das?«
»Mich entsetzt es auch.« Damon drehte ein Büschel Weißdorn in den Händen. »Heutzutage ist es ganz gewiss nicht mehr üblich. Ich hatte angenommen, es verstoße gegen das Gesetz. Natürlich hat Leonie dabei nur die besten Absichten gehabt. Du hast die Veränderungen in den Nervenströmen gesehen. Einige der Mädchen haben qualvolle Menstruationsbeschwerden, und wahrscheinlich konnte Leonie es nicht ertragen, Callista leiden zu sehen. Aber was für ein Preis war dafür zu zahlen!« Mit düsterem Gesicht öffnete er von neuem Schubladen. »Wenn Callista es selbst gewollt hätte … aber Leonie hat es ihr nicht einmal gesagt! Das kann ich nur schwer verstehen und verzeihen.«
Andrew war so empört, daß ihm fast übel wurde. Warum eigentlich? So sehr sollte es ihn nicht schockieren, denn physische Modifikationen waren schließlich nichts Neues. Den meisten Frauen, die zur Crew von Sternenschiffen des Imperiums gehörten – steril wurden sie durch die Strahlungen des tiefen Raums sowieso –, wurden die Unannehmlichkeiten der Menstruation durch eine Hormonbehandlung erspart. Warum also entsetzte es ihn so? Es war nicht an sich schockierend, nur Damon war dieser Meinung! Würde er sich je an dies Leben in einem Goldfischglas gewöhnen?, fragte sich Andrew. Konnte er überhaupt noch eigene Gedanken denken?
Damon suchte in Kräuterbüscheln herum. Er sagte: »Das mußt du verstehen. Callista ist über zwanzig. Sie ist eine erwachsene Frau, die jahrelang die schwierige, mit viel Technik verbundene Arbeit einer Matrix-Mechanikerin getan hat. Sie ist eine erfahrene Fachkraft in einem der anstrengendsten Berufe auf Darkover. Und jetzt ist ihr nichts von ihrer Ausbildung, nichts von ihrer Begabung mehr nütze. Sie kämpft mit der Dekonditionierung und dem sexuellen Erwachen und hat alle emotionalen Probleme einer jungen Frau. Und zu allem anderen entdecke ich jetzt, daß sie körperlich im Zustand eines Mädchens von zwölf oder dreizehn gehalten worden ist! Evanda! Wenn ich nur gewußt hätte …«
Andrew blickte zu Boden. Seit dem schrecklichen Fiasko der vergangenen Nacht hatte er oft das Gefühl gehabt, so wie er müsse sich ein Mann vorkommen, der eine Frau vergewaltigt hatte. Wenn Callista physisch noch ein unerwecktes Mädchen von zwölf oder dreizehn war – es schüttelte ihn vor Grauen.
Damon redete ihm zu: »Quäle dich nicht! Callista wußte es selbst nicht. Denke daran, sechs Jahre lang hat sie die verantwortliche Arbeit einer Erwachsenen getan.« Doch er wußte, ganz wahr war das auch nicht. Callista mußte sich der breiten, unüberschreitbaren Kluft zwischen sich und den anderen Frauen bewußt gewesen sein. Leonie mochte ihrem Schützling einige körperliche Leiden erspart haben, aber zu welchem Preis?
Nun, es war ein gutes Zeichen, daß der Menstruationszyklus spontan eingesetzt hatte. Vielleicht verschwanden andere Barrieren mit Geduld und im Laufe der Zeit ebenfalls von selbst. Damon nahm eine Hand voll getrockneter Blüten auf und roch vorsichtig daran. »Gut, das ist es. Kireseth – nein, riech nicht daran, Andrew, das stellt mit dem menschlichen Gehirn komische Dinge an.« Damon empfand ein schwaches Schuldgefühl. Unter den Psi-Arbeitern war das Tabu gegen Kireseth absolut, und er kam sich vor, als begehe er ein Verbrechen, wenn er die Blüten benutzte. Mehr zu sich selbst als zu Andrew sagte er: »Daraus kann ich Kirian herstellen. Ich weiß nicht, wie man ihn in Arilinn destilliert, aber ich kann eine Tinktur
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