Der verbrannte Garten - Ulysses Moore : Staffel 2 ; 5
Sie, ich rette Sie nicht! Haben Sie mich verstanden?«
Doch Nestor hörte gar nicht hin und bewegte sich stur auf sein Ziel zu.
Wenige Minuten später hatte er den Rand des Abgrunds erreicht. »Spencer war hier!«, rief er triumphierend.
Was fantasiert der Alte da bloÃ, fragte sich der kleine Flint. Als er aber sah, dass Nestor aus dem Abgrund den Anfang einer Strickleiter herauszog, die genauso aussah wie die, die sie unten am Strand gefunden hatten, bekam er vor Staunen den Mund nicht mehr zu.
»Das ist der Wahnsinn!«, rief er. »Ich glaube es nicht!« Und ohne darüber nachzudenken, folgte er Nestor ins Innere des Vulkans hinein.
Unten im Krater war es sehr windig.
Es war ein ungewöhnlicher und unerklärlicher Wind, der hier wesentlich stärker blies als auf der übrigen Insel. Es musste derselbe mit Gasen gesättigte Wind sein, der den Felsbrocken in die Luft geschleudert hatte. Anscheinend kam er aus dem Inneren der Erde. Warm und zunächst träge stieg er in Spiralen von der Ãffnung in der Mitte des Kraters auf.
Welchen Durchmesser mochte das Loch wohl haben? Zehn Meter? Zwanzig?
Der kleine Flint war nicht gut im Schätzen. Er stolperte über Felsen, schnitt sich an einem scharfkantigen Stein eine Hand auf und hatte während seines gesamten Abstiegs eine wahnsinnige Angst davor, der Vulkan könne ganz plötzlich ausbrechen.
Als er Nestor endlich erreichte, beugte dieser sich immer noch über den Rand des Lochs und holte Meter um Meter die Strickleiter ein.
»Sie wissen, dass Sie wahnsinnig sind, nicht wahr?«, war das Erste, was der kleine Flint zu Nestor sagte. Von dem ständig pfeifenden Wind hatte er Ohrensausen. Er kam sich vor, als hätte er den Kopf in einen riesigen Föhn gesteckt.
Nestor hatte inzwischen neben sich gut dreiÃig Meter Strickleiter liegen und holte immer noch mehr davon herauf. AuÃerdem hatte er noch einige, eigenartig geformte Holzrahmen hochgezogen, die mit silbernen Fäden bespannt waren.
»Was soll das denn sein?«, fragte ihn der Junge.
Nestor hörte kurz auf, die Leiter einzuholen. »Zuerst ist er damit hinabgestiegen. Aber er muss begriffen haben, dass der Schlot dafür zu tief ist und dass er mit der Strickleiter niemals bis ganz unten gekommen wäre.«
»Ganz unten ⦠Wieso denn das?«, fragte der kleine Flint verblüfft.
Nestor zog eine mit Elfenbein, Gold und grauen Perlen verzierte Truhe, die auf den rings um den Rand des Loches liegenden Steinen gestanden hatte, zu sich her. Oben in den Deckel waren Buchstaben eingraviert: BRIGGS.
»Dann muss er sich für eine andere Strategie entschlossen haben«, meinte Nestor und schlug mit der flachen Hand auf die Truhe.
Verwirrt kratzte sich der kleine Flint am Kopf. »Ich verstehe immer noch nicht â¦Â«
Anstatt mit seinen Erklärungen fortzufahren, schob ihm Nestor die Truhe zu. Sie war groÃ, aber erstaunlich leicht.
»Bring sie hoch«, befahl er. »Wir brauchen eine ebene Oberfläche.«
»Eine ebene Oberfläche? Wozu denn?«
Nestor sammelte auch die Holzrahmen ein. Auf den ersten Blick hatte der kleine Flint sie für Bilderrahmen gehalten. Jetzt aber, wo Nestor sie hochhielt und das Tageslicht hindurchschien, erinnerten sie fast ein bisschen an â¦
Erschrocken riss der Junge die Augen auf. »Nein«, murmelte er. »Sagen Sie mir bloà nicht, dass â¦Â«
»Los, du Lausebengel. Für manche Dinge werde ich allmählich zu alt. Aber wenn Spencer es geschafft hat, dann schaffe ich es auch.«
Nestor legte die Rahmen wieder hin. Der kleine Flint betrachtete sie besorgt. In der Hand des alten Mannes hatten diese Konstruktionen einen Augenblick lang wie Gerüste von primitiven Flügeln ausgesehen.
In der Truhe lag die Bespannung: groÃe Seidenstoffstücke und dicht geflochtene Strohmatten, an deren Rändern entlang je eine Reihe zu Ãsen verstärkter kleiner Löcher verlief. Sie legten sie auf die Rahmen, und nach einigen Versuchen gelang es ihnen, sie einzufügen und zu spannen. Dann traten sie zurück und sahen sich schweigend das Ergebnis ihrer Bemühungen an.
Inzwischen gab es für den kleinen Flint keine Zweifel mehr: Was da vor ihnen lag, war ein Flügelpaar.
»Mister â¦Â«, begann der Junge.
Doch Nestor beachtete ihn nicht. Er war viel zu beschäftigt damit zu überprüfen, ob die Bespannung fest genug war. Es dauerte mehr
Weitere Kostenlose Bücher