Der Verehrer
Glas.
»Wieso habe ich bloß das Gefühl, daß sie ihn nicht schnappen werden? Daß sie sich ihre ganze Fahndung an den Hut stecken können?«
»Es wird eng werden für ihn. Irgendwo muß er ja wohnen. Da gibt es Nachbarn, Vermieter. Sein Bild wird in den Zeitungen erscheinen. Er kann nicht mehr in aller Ruhe versuchen, dir das Leben schwerzumachen. Er muß sich jetzt vorwiegend darum kümmern, der Fahndung zu entgehen, und das schafft ihm sicher ein paar Probleme.« Er sah, wie bedrückt Leona dreinblickte, und strich ihr aufmunternd über die Wange. »Komm. Du mußt etwas essen. Laß uns irgendwo hingehen und dort dann beratschlagen, wie wir uns jetzt weiter verhalten.«
Sie nickte. Sie hatte nicht den geringsten Hunger, aber sie hatte seit dem Frühstück nichts mehr zu sich genommen, und sie wußte, daß sie sich die Nerven vollends ruinierte, wenn sie nie richtig aß.
Dann fiel ihr noch etwas ein. »Wie wurde Millie getötet? Du sprachst von einem Messer …«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Ja.«
»Er hat sie mit einem schweren Gegenstand niedergeschlagen – mit einer Gipsskulptur, die auf ihrem Garderobentisch stand. Haare und Blut der Toten klebten daran. Dann hat er sie ins Wohnzimmer geschleift und dort mit einem ihrer Küchenmesser an die hundertmal auf sie eingestochen. Er muß in einen wahren Blutrausch gefallen sein.«
Leona bemühte sich, nicht an die Bilder hinter den Worten zu denken.
»Dann war er vor einigen Tagen also in Ascona. Wahrscheinlich kurz bevor er hierherkam und Paul zusammenschlug. «
»Nein. Er war nicht wieder in Ascona.«
Wolfgang mußte zu einem Punkt der Geschichte kommen, den er gerne ausgelassen hätte, aber da Leona nun gefragt hatte, ging das nicht mehr.
»Emilie Faber ist seit etwas über sechs Wochen tot, wie der Gerichtsmediziner festgestellt hat. Es muß also …«
Er schwieg, aber Leona wußte, was er hatte sagen wollen. Übelkeit stieg in ihr auf. Robert hatte Millie umgebracht, als sie beide noch in Ascona gewesen waren. Sie dachte an den »Spaziergang«, den er noch hatte machen wollen, nachdem sie ihm von ihrem Gespräch mit Millie berichtet hatte. Während sie ihre Sachen packte, hatte er zwei Stockwerke unter ihr eine Frau regelrecht abgeschlachtet. Danach hatte er in seiner Wohnung ohne Probleme noch im Bad verschwinden, sich waschen, seine blutbefleckte Kleidung im Wäschekorb verschwinden lassen können. Seelenruhig hatte er in der Nacht im selben Zimmer wie sie auf dem Sofa geschlafen.
Er hatte, soweit sie sich erinnerte, nicht einmal unruhig geatmet.
9
»Sie hätten mir mitteilen müssen, daß Sie umziehen«, sagte Kommissar Hülsch mit sanftem Vorwurf in der Stimme. »Wir ermitteln immer noch im Mordfall Ihrer Schwester, und da ist es doch klar, daß wir Sie brauchen.« Lisa nickte. »Es ging alles so schnell«, sagte sie.
»Ich möchte Ihnen nochmals sagen, wie leid es mir tut, daß Ihr Vater gestorben ist«, sagte Hülsch. »Das alles ist natürlich sehr schwer für Sie.«
»Ach, für meinen Vater war es eine Erlösung«, erklärte Lisa, und im stillen fügte sie hinzu: Und für mich auch!
»Ich wollte das Haus nicht behalten, wissen Sie, in diesem Dorf kann man wirklich nicht leben. Ich wollte schon immer in München wohnen, und jetzt habe ich es endlich geschafft!«
Lisa sagte es mit einer Zufriedenheit, die Hülsch an ihr noch nie erlebt hatte. Er sah sich um in dem kleinen Appartement im Münchner Vorort Neu-Aubing , in dem er sie endlich aufgetrieben hatte. Beigefarbener Teppichboden, weiße Schleiflackmöbel, ein gläserner Eßtisch, ein passender Couchtisch. Nirgends ein Stäubchen, Lisa schien penibel auf Ordnung zu achten in ihrem Reich. Hülsch dachte an das verwohnte, heruntergekommene Haus ihrer Familie bei Augsburg, an die schiefen Fußböden, die miefige Luft, die zwischen den Wänden hing, die von Essensdünsten und Zigaretten verfärbten, ausgeleierten Vorhänge an den Fenstern. Auch wenn sich dieses Appartement in einem scheußlichen Wohnblock in einer der unattraktivsten
Gegenden Münchens befand, so hatte sich Lisa doch verbessert.
Auch sie selber sah verändert aus: Daß sie hübsch war, hatte er auch früher schon bemerkt, aber sie hatte manchmal abgerissen, ungepflegt und erschöpft gewirkt. Nun war sie so sorgfältig herausgeputzt wie ihre Wohnung. Auffällig gekleidet in hautenge schwarze Jeans, kniehohe Lackstiefel, einen leuchtend roten Pullover. Die blonden Haare hatte sie aufhellen und in große Locken
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