Der Verehrer
Arm. »Gehen Sie nach Hause. Sie scheinen hundemüde zu sein. Hier können Sie im Moment doch nichts tun. Nehmen Sie ein schönes, warmes Bad und legen Sie sich dann hin!«
Leona verabschiedete sich und verließ das Krankenhaus. Es regnete noch immer. Sie eilte zu ihrem Auto, dessen Dach und Kühlerhaube bedeckt waren mit weißen Kirschblüten, die der Regen von einem Baum herabpeitschte. Morgen wollten Olivia und die Eltern kommen, um Paul zu besuchen. Sie waren entsetzt und erschüttert gewesen, als sie von dem Unglück hörten. Leona hatte sie nicht noch mehr aufregen wollen und ihnen daher verschwiegen, daß sie Robert für den Täter hielt. Vorläufig sollten sie ruhig an die Einbrecher – Version Weissenburgers glauben.
Während Leona ihren Wagen durch den Regen und den noch immer dichten Abendverkehr heimwärts steuerte, versuchte sie, sich an den Worten der Schwester festzuhalten. Er hat eine stabile Konstitution. Er ist kräftig und sportlich. Die Voraussetzungen könnten schlechter sein.
Als sie daheim ankam, sah sie schon Wolfgangs Auto vor dem Grundstück parken. Er war also wieder da, und sie merkte, wie sie unwillkürlich erleichtert durchatmete.
Am Sonntag, spät abends, als endlich alle Polizisten verschwunden waren, hatte er wie selbstverständlich gesagt: »Ich bleibe besser hier heute nacht«, und hatte das Gästezimmer mit Beschlag belegt. Am Montag abend war er ebenfalls aufgetaucht und hatte wiederum die Nacht in ihrem gemeinsamen Haus verbracht. Wie es aussah, hatte er vor, dies weiterhin zu tun, und zum erstenmal kam Leona der Gedanke, daß er ihr damit nicht nur seelischen Beistand leisten wollte: Er hatte Angst, sie allein zu lassen. Er hielt sie für ebenfalls gefährdet.
Und wahrscheinlich hat er recht, dachte sie, um im nächsten Moment auf einen weiteren beunruhigenden Aspekt aufmerksam zu werden: Wie groß war die Gefahr, in der er schwebte, wenn Robert mitbekam, daß er bei Leona im Haus aus und ein ging?
Wolfgang mußte sie gehört haben, denn er riß die Haustür auf, noch ehe Leona ihren Schlüssel ins Schloß gesteckt hatte.
»Leona, gut, daß du kommst!« Er zog sie herein, schloß sorgfältig die Tür. Während er ihr aus dem nassen Mantel half, sagte er: »Weissenburger hat mich im Sender angerufen. Daraufhin bin ich gleich hierhergefahren.«
»Gibt es etwas Neues?«
»Und ob. Komm mit ins Wohnzimmer. Wie geht es Paul?«
»Unverändert. Er sieht schrecklich aus, Wolfgang. So hilflos und krank.« Sie folgte ihrem Mann ins Wohnzimmer. »Also – was ist?«
Sie setzte sich in einen Sessel. Wolfgang blieb stehen, er schien zu angespannt, um sich hinzusetzen.
»Die Polizei Ascona hat heute früh einen Beamten abgestellt, deinen Robert Jablonski unter der von dir genannten Adresse zu überprüfen«, sagte er. »Er hat ihn nicht angetroffen. Laut Aussage einer Hausbewohnerin wurde er dort nicht mehr gesehen seit dem Tag im März, an dem er mit dir zusammen abreiste. Du hast wohl recht gehabt. Er ist nicht nach Ascona zurückgekehrt.«
Sie setzte sich aufrechter hin. »Es stimmt also. Er ist noch hier. Er …«
Wolfgang unterbrach sie: »Moment. Es kommt noch besser. Im selben Haus, in dem sich seine Wohnung befindet, fand die Polizei eine ermordete Frau.«
»Was?«
»Eine Hausbewohnerin machte den Polizisten darauf aufmerksam, daß eine ihrer Nachbarinnen offenbar seit Wochen nicht mehr gesehen wurde. Sie machte sich Sorgen deshalb, und der Beamte ging der Sache nach, zunächst wohl vor allem deshalb, um ihr Lamentieren zu beenden. Er fand die Vermißte in ihrem Wohnzimmer. Grausam hingeschlachtet.«
Leona wollte aufstehen, aber sie merkte, daß ihre Beine weich wie Pudding geworden waren und sie nicht tragen würden. Sie blieb sitzen, und ein Zittern breitete sich langsam in ihrem ganzen Körper aus.
»Wer … wie heißt die Frau? Vielleicht kenne ich sie.«
»Warte … Emilie Faber oder so ähnlich.«
»O Gott«, flüsterte Leona.
»Du kennst sie tatsächlich?«
»Ich habe mich ein paarmal mit ihr unterhalten, als ich in Ascona war.«
Das Bild Millie Fabers entstand in ihrer Erinnerung. Die freundliche, etwas biedere ältere Frau in ihrer gepflegten Wohnung mit den Rüschengardinen und den vielen Zimmerpflanzen.
Unmöglich, sie sich tot vorzustellen – hingeschlachtet, wie Wolfgang gesagt hatte.
»Sie … war eigentlich der Auslöser, weshalb ich mich von Robert endgültig getrennt habe«, fuhr sie stockend fort. »Sie sagte mir, daß seine letzte Freundin
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