Der Verehrer
Schrulle verschwand für immer von der Bildfläche.
Warum schreibe ich das alles auf? Aus Langeweile? Nicht nur. Die Vergangenheit bricht aus mir heraus, wann immer ich an irgendeiner Stelle auch nur zaghaft zu graben beginne. Wenn man einmal die Schleusen geöffnet hat, versiegt
der Strom nicht mehr. Und während ich hier sitze und das Haus meines Feindes beobachte, habe ich jede Gelegenheit niederzuschreiben, was mir so in den Sinn kommt.
Noch in jenem Gartenhaus, das mir, gegenüber von Leonas Haus, zu einer Art zweiter Heimat geworden war, hatte ich mir eine Liste mit Namen gemacht; Namen der in Frage kommenden Personen, die Leona in ihrem Exil aufsuchen könnten. Wolfgang schrieb ich gar nicht erst auf, sondern notierte nacheinander alle Mitglieder ihrer Familie: Julius, Elisabeth, Olivia, Paul, Carolin, Benjamin. Nachdenklich betrachtete ich die Namen.
Leona ist ein Familienmensch. Die Wahrscheinlichkeit, daß sie nach einem der Ihren verlangen wird, ist groß. Das Haus in Lauberg zu beschatten hätte einen Vorteil: Man bewacht ein Haus und damit auf einen Schlag sechs Personen. Andererseits mochte hier genau der »Wolfgang-Effekt« eintreten: Die Familie rechnet damit, daß ich sie im Auge behalten werde. Möglicherweise würde keiner von ihnen Kontakt aufnehmen. Vielleicht sind sie nicht einmal alle eingeweiht; der nichtsnutzige Benjamin sicher nicht, die hysterische Olivia womöglich auch nicht.
Arbeitskollegen? Freunde? Leona versteht sich recht gut mit ihren Kollegen, aber es gibt, soweit ich weiß, niemanden dort, zu dem sie ein besonderes Vertrauensverhältnis hat. Sie hat auch keine spezielle Busenfreundin, das hätte ich erfahren in den Monaten mit ihr. Im übrigen – wenn es sie gäbe und wenn ich davon wüßte, würde sie von Leona als gefährdet und gefährdend eingestuft und wäre damit aus dem Rennen.
Nachdenklich malte ich den Namen Lydia auf meinen Zettel. Sie hatte Leonas Freundschaft gesucht, war Leona aber, wie den meisten Menschen, hauptsächlich auf die
Nerven gegangen. Freiwillig würde Leona ihre Gesellschaft wahrscheinlich nicht einmal in ihrer derzeitigen Lage suchen. Abgesehen davon ist Lydia nicht besonders gescheit und ziemlich geschwätzig. Sie in Leonas momentanen Aufenthaltsort einzuweihen hieße, ihn ebensogut gleich in der Zeitung annoncieren zu können.
Trotzdem zog ich einen Kreis um Lydias Namen, denn eine innere Stimme sagte mir, sie könne noch irgendeine Bedeutung haben für mich – auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt nicht wußte, welche.
Ich zermarterte mir weiterhin das Hirn. Mir kam Leonas ominöser Lover in den Sinn, der, den ich in ihrer Küche zusammengeschlagen hatte. Falls er überhaupt noch lebt, ist er mit Sicherheit nicht in der Lage, irgend jemanden zu besuchen, der arme Tropf. Ein Schädelbasisbruch dürfte das mindeste sein, was er davongetragen hat. Ich kannte seinen Namen nicht, aber das Wort Liebhaber brauchte ich gar nicht erst auf meine Liste zu schreiben.
Aber der Begriff löste dennoch etwas in mir aus – einen Gedankengang, der mir unbegreiflicherweise bisher nicht gekommen war. Wer ist der skrupelloseste, unverfrorenste Verführer, den ich kenne? Ich starrte durch die Blüten vor meinen Augen auf die Straße hinaus, ohne den Asphalt, die parkenden Autos, Leonas Wohnzimmerfensterscheibe gegenüber zu sehen.
Was ich statt dessen vor mir sah, war das Gesicht von Professor Bernhard Fabiani.
Bernhard Fabiani ist weiß Gott der Mensch, den ich auf der ganzen Welt am meisten hasse. Er hat Eva in den Tod getrieben, nachdem er zuvor so getan hatte, als könne er nicht leben ohne sie. Eva ist auf sein Getue natürlich ohne Umschweife hereingefallen. Sie hatte leider, obwohl sie sonst eine kluge Frau war, eine sentimentale Ader. Rosensträuße
und Candlelight-Dinner waren ein unfehlbarer Weg zu ihrem Herzen. Das hatte Fabiani natürlich schnell raus und wandte es zielgerichtet an.
Bernhard Fabiani ist ein Jäger. Seine Beute sind Frauen, und er ist hinter ihnen her wie ein Süchtiger nach der Flasche oder der nächsten Spritze. Er konnte nicht aufhören, er konnte nicht genug bekommen. Eva ist durch die Hölle gegangen mit ihm, was mich insoweit freute, als ich es ihr immer prophezeit hatte und dann gründlich recht behielt. Die Art, wie er sie umwarb, war so glatt und routiniert, daß mir klar wurde, hierin hat er extrem viel Übung. Vermutlich tut er Tag für Tag nichts anderes, als verschiedene Frauen anzubaggern. Aber Eva war taub auf
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